Perspektive

Offener Brief israelischer Akademiker verurteilt Völkermord in Gaza

Palästinenser nach einem israelischen Luftangriff im nördlichen Gazastreifen [Photo by UN Photo/Shareef Sarhan / undefined]

Am Mittwoch protestierten 1.200 israelische Lehrbeauftragte und Hochschulangestellte in einem offenen Brief gegen die „Kriegsverbrechen und sogar Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, die das israelische Militär im Gazastreifen begangen hat.

Der Brief, der an die Vereinigung israelischer Hochschulrektoren, den Rat der staatlichen Universitäten, die israelische Akademie der Geistes- und Naturwissenschaften sowie die Organisation Academics for Israeli Democracy gerichtet ist, stellt eine Reaktion auf den Beginn der „Operation Gideons Streitwagen“ im März dar. Die Kriegsoperation sieht die massenhafte Aushungerung der palästinensischen Bevölkerung vor, um das zu erreichen, was jetzt die offene Politik der israelischen Regierung ist: die ethnische Säuberung des Gazastreifens.

In der Erklärung heißt es:

Seit Israel am 18. März die Waffenruhe gebrochen hat, sind im Gazastreifen fast 3.000 Menschen getötet worden. Die überwiegende Mehrheit von ihnen waren Zivilisten. Seit Beginn des Krieges wurden in Gaza mindestens 53.000 Menschen getötet, darunter mindestens 15.000 Kinder und mindestens 41 israelische Geiseln. Gleichzeitig warnen viele internationale Organisationen vor einer akuten Hungersnot - das Ergebnis einer vorsätzlichen und offen erklärten Politik der israelischen Regierung - sowie vor der Verwandlung des Gazastreifens in ein für Menschen unbewohnbares Gebiet. Israel bombardiert weiterhin Krankenhäuser, Schulen und andere Einrichtungen. Zu den erklärten Kriegszielen, wie sie in den Befehlen für die aktuelle Militäroperation „Gideons Streitwagen“ definiert sind, gehört die „Konzentration und Vertreibung der Bevölkerung“. Dies ist eine entsetzliche Litanei von Kriegsverbrechen und sogar Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die alle von uns selbst verschuldet sind.

Als Akademiker erkennen wir unsere eigene Rolle bei diesen Verbrechen an. Es sind menschliche Gesellschaften, nicht nur Regierungen, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen. Einige tun dies durch direkte Gewalt. Andere tun dies, indem sie die Verbrechen sanktionieren und rechtfertigen, vor und nach der Tat, und indem sie schweigen und die Stimmen in den Hallen des Lernens zum Schweigen bringen. Es ist dieses Band des Schweigens, das es ermöglicht, dass die offenkundigen Verbrechen unvermindert weitergehen, ohne dass die Barrieren ihrer Anerkennung durchbrochen werden.

Der Brief zeigt, dass sich in Israel öffentlicher Widerstand gegen den Krieg formiert. Es ist noch nicht klar, wie weit verbreitet diese Opposition ist. Kürzlich veröffentlichte Umfragen deuten darauf hin, dass Unterstützung für den Angriff des Regimes auf die Palästinenser nach wie vor weit verbreitet ist. Sofern diese Umfragen zutreffen, spiegelt dies die tiefe soziale Desorientierung wider, die durch die jahrzehntelange reaktionäre zionistische Politik und Propaganda entstanden ist.

In Anbetracht der unerbittlichen Lügen, denen die israelische Bevölkerung ausgesetzt wird, ist die Tatsache, dass mehr als 1.000 Akademiker die Politik der Regierung als kriminell anprangern, jedoch eine bedeutende Entwicklung.

Der Brief ist eine vernichtende Anklage nicht nur gegen die Netanjahu-Regierung, sondern auch gegen ihre internationalen Unterstützer in Washington, London, Berlin und anderen Hauptstädten, die Kritik an Israels Völkermord in Gaza als eine Form von „Antisemitismus“ bezeichnet haben. Die New York Times und andere große imperialistische Medien haben nicht über den Brief berichtet, obwohl Haaretz und Al Jazeera ausführlich darüber berichteten.

Das Schreiben kontrastiert die lautstarke Rolle der israelischen Universitäten bei den Massenprotesten von 2023 gegen den Versuch der Netanjahu-Regierung, die Justiz zu unterdrücken, mit ihrem relativen Schweigen zum laufenden Völkermord. So heißt es dort:

Die israelischen Hochschuleinrichtungen spielen eine zentrale Rolle im Kampf gegen den Justizumsturz. Gerade vor diesem Hintergrund ist ihr Schweigen angesichts des Tötens, Verhungerns und der Zerstörung im Gazastreifen und angesichts der vollständigen Beseitigung des dortigen Bildungssystems, seiner Bevölkerung und seiner Strukturen so eklatant.

Es gibt weitere Anzeichen für eine wachsende Opposition in Israel gegen den Völkermord in Gaza. Die Veröffentlichung des Briefes folgte auf Demonstrationen am Dienstag an Universitäten in ganz Israel, bei denen Studierende und Dozenten gegen den anhaltenden Völkermord in Gaza protestierten. „Dies ist die erste Aktion gegen die anhaltende Leugnung und die stillschweigende Unterstützung von Verbrechen, die in unserem Namen begangen werden“, so die Organisatoren gegenüber Haaretz. An der Universität Tel Aviv wurden Studierende und Dozenten, die gegen den Völkermord protestierten, von Polizisten der Universität angegriffen.

Eine der Organisatorinnen des Protests sagte gegenüber Haaretz: „Ich nehme ein Gefühl des Durchbruchs wahr – dass es von nun an nicht mehr möglich sein wird, sich zurückzuhalten.“ Sie fügte hinzu: „Eine ganze Gemeinschaft lebt unter einer Form von Zensur und fühlt sich unterdrückt, mit einem unterdrückten Schrei in der Kehle. Die Botschaft, die wir von den Studierenden erhalten haben, ist eindeutig: Sie wollen, dass wir nicht länger schweigen.“

Ayelet Ben-Yishai, Professorin an der Universität Haifa, erklärte gegenüber Al Jazeera, dass einige Unterstützer ihre Entscheidung, sich öffentlich gegen den Völkermord auszusprechen, als Reaktion auf „den Bruch des Waffenstillstands im März“ getroffen hätten: „Das war für viele ein Wendepunkt, und sie wurden Zeugen der Hungersnot, die wir dem Gazastreifen seither aufzwingen.“

Die Gruppe, die die Veröffentlichung des Briefes organisiert, ist als „Black Flag Action Network“ bekannt. Professor On Barak von der Universität Tel Aviv erklärte gegenüber Haaretz, der Name der Gruppe sei eine Anspielung auf den Begriff, den der [damalige Jerusalemer Richter] Benjamin Halevy nach dem Massaker von Kafr Qasim 1956 geprägt hatte, bei dem 48 unschuldige Palästinenser von der israelischen Grenzpolizei getötet wurden. Richter Halevy schrieb in seinem Urteil: „Das Kennzeichen der offensichtlichen Rechtswidrigkeit ist, dass sie wie eine schwarze Flagge über dem gegebenen Befehl wehen muss, eine Warnung, die sagt: ‚Verboten!‘ Nicht formale Rechtswidrigkeit... sondern vielmehr der klare und offensichtliche Bruch des Gesetzes.“

Barak fügte hinzu: „Die weit verbreitete Gleichgültigkeit [gegenüber den Menschen im Gazastreifen] bei vielen Israelis ist das Ergebnis einer intensiven Entmenschlichungskampagne, der man sich aktiv widersetzen muss.“

Professor Yael Hashiloni-Dolev von der Ben-Gurion-Universität des Negev erklärte gegenüber Haaretz: „Jeder, der auch nur ein Fünkchen Verantwortung oder Menschlichkeit besitzt, kann dieser Propaganda nicht länger Glauben schenken. Wir müssen erkennen, dass im Gazastreifen ganz offen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen werden. Wir befinden uns inmitten eines moralischen Zusammenbruchs.“

Al Jazeera stellte fest, dass „der Brief der Akademiker insofern einzigartig ist, als er das Leiden der Palästinenser in den Mittelpunkt seiner Einwände gegen den Krieg stellt“.

Professor Ben-Yishai erklärte gegenüber Al Jazeera: „Wir wollten das palästinensische Leiden in den Mittelpunkt stellen. Wir wollten zum Ausdruck bringen, dass wir an der Seite der Palästinenser stehen und mit ihnen solidarisch sind. Es ging auch darum, Verantwortung für das zu übernehmen, was wir in Gaza tun, und den Menschen die Augen dafür zu öffnen.“

Der Brief appelliert an „alle Menschen in diesem Land, Palästinenser und Juden“. Es heißt weiter: „Um des Lebens von Unschuldigen und der Sicherheit aller Menschen in diesem Land, Palästinenser und Juden, um der Rückkehr der Geiseln willen; wenn wir nicht dazu aufrufen, den Krieg sofort zu beenden, wird uns die Geschichte nicht verzeihen.“

Der Brief hat den Charakter eines moralischen Appells. Seine Verfasser gehen nicht auf die grundlegenden historischen und politischen Fragen ein, die dem Völkermord zugrunde liegen. Doch so tief die Empörung über den Krieg auch sein mag, die Entwicklung einer wirksamen Opposition gegen das Regime erfordert einen Bruch mit der Ideologie und der Politik des Zionismus. Der völkermörderische Charakter dieses Krieges ist der Höhepunkt der Politik, die auf den reaktionären politischen Grundlagen beruht, auf denen der „jüdische Staat“ 1948 errichtet wurde.

Die Opposition jüdischer und arabischer Sozialisten und der trotzkistischen Vierten Internationale gegen die Gründung des zionistischen Staates im Jahr 1948 hat sich als richtig erwiesen.

Die Verfasser des Briefes erklären, dass „es unsere Pflicht ist, zu retten, was von der Zukunft dieses Landes noch zu retten ist“. Die Bezugnahme auf „dieses Land“ und nicht auf Israel lässt auf ein wachsendes Bewusstsein dafür hoffen, dass die Existenz des israelischen Staates – begründet auf der Enteignung und Zerstörung des palästinensischen Volkes – jede andere Zukunft als fortgesetzten Massenmord ausschließt.

Die einzig realisierbare Zukunft ist die revolutionäre Auflösung des bestehenden zionistischen Staates und die Vereinigung der palästinensischen und jüdischen Arbeiterklasse in einer sozialistischen Republik.

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