Die Krankenhausserie „The Pitt“, ausgestrahlt im US-amerikanischen Videokanal HBS Max, hat sowohl bei Pflegekräften als auch beim breiten Publikum großen Anklang gefunden. Als eine der fünf meistgesehenen Neuvorstellungen der Plattform ist sie schon für eine zweite Staffel vorgesehen. Sie wird auf TikTok und anderen sozialen Medien viel diskutiert.
Die von R. Scott Gemmill entwickelte Serie wurde von John Wells und Noah Wyle produziert, die bereits an der Krankenhausserie „Emergency Room – Die Notaufnahme“ (1994–2009) mitgewirkt hatten. Im Gegensatz zu ihrer Vorgängerserie legt „The Pitt“ allerdings von Beginn an Wert darauf, die tatsächlichen Arbeitsbedingungen des Gesundheitspersonals in den USA realistisch darzustellen und anzuprangern.
Hauptdarsteller und Co-Produzent Noah Wyle erklärte in einem Interview:
Unsere ursprüngliche Absicht war es, diese Gemeinschaft von Mitarbeitern an vorderster Front ins Rampenlicht zu rücken, die seit Corona ununterbrochen, seit fünf Jahren, unermüdlich arbeiten. Wir fokussieren uns wirklich auf die Belastungen, denen die Ärzte und Pflegekräfte ausgesetzt sind.
Im Allgemeinen leidet das Genre der Krankenhausserie unter Realitätsflucht, mit gottgleichen Ärzten, die trotz aller Widrigkeiten die Lage retten, mit romantischen Intrigen, seltenen mysteriösen Krankheiten und einem versöhnlichen, emotionalen Schluss. Dies findet in einer abgeschotteten Parallelwelt des Krankenhauses statt, in der andere Gesetze gelten und Gesellschaft und Politik weit entfernt scheinen.
„The Pitt“ wirkt trotz der Dialoge, die zuweilen zu Witzeleien neigen und gelegentlich unglaubwürdig sind, gewissermaßen „real“, und dies nicht nur in medizinischer Hinsicht (visuelle Effekte, Genauigkeit der Abläufe, Fachjargon). Die Serie zeigt eine krisengeschüttelte Gesellschaft, in der Einzelne trotz aller Bemühungen, die großen Herausforderungen zu bewältigen, an die Grenzen eines Systems stoßen, das privaten Profit über Leben stellt: Kapitalismus.
Wells erklärt, einer der Hauptgründe für die Produktion der Serie bestand darin, das Trauma der Covid-19-Pandemie zu thematisieren:
Heute befinden wir uns in einer Phase, in der alle versuchen, die Pandemie zu vergessen, weil es für alle eine seltsame surreale, schreckliche Erfahrung war, mit enormen Auswirkungen auf die Wirtschaft und andere Bereiche. Aber für die Menschen, die dabei waren und links und rechts Patienten sterben sahen, die ihr Leben riskierten und Kollegen verloren haben, bleiben das Trauma und die PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) bestehen. Es gibt viele Gründe für den gravierenden Mangel an Pflegekräften, aber der wichtigste Grund ist, dass so viele Menschen ihren Beruf aufgegeben haben. Sie waren einfach erschöpft, ausgebrannt oder litten unter PTBS. Und viele sind aufgrund dieser Tragödie, mit der wir monatelang zu kämpfen hatten, chronisch erkrankt oder gestorben.
Die Serie begleitet den leitenden Arzt Dr. Michael „Robby“ Robinavitch (Wyle) und sein Team in der Notaufnahme des Pittsburgh Trauma Medical Hospital – kurz „The Pitt“. Jede Folge zeigt eine Stunde einer 15-stündigen Schicht in der unterbesetzten und unterfinanzierten Einrichtung. In der Pilotfolge wird deutlich, dass Robby noch immer unter Trauer und einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, die er durch den Verlust seines Mentors in den frühen Tagen der Pandemie erlitten hat.
Als er um 7 Uhr morgens zum Dienst erscheint, findet er seinen Kollegen Dr. Jack Abbot (Shawn Hatosy) auf dem Dach vor. Dieser erwägt Selbstmord, da er einen Patienten nicht wiederbeleben konnte. Dieses Szenario ist offenbar keine Ausnahme: Beide machen darüber Witze, und Robby gerät in der letzten Folge selbst in Abbots Lage.
Die Serie wurde mit Handkameras gedreht, was ihr einen dokumentarischen Charakter verleiht. Wir begleiten einen Patienten durch verschiedene Versorgungsstufen (Triage, Diagnostik, Behandlung) und mehrere Übergaben zwischen Krankenschwestern, Assistenzärzten und Oberärzten. Den gesamten Entscheidungsprozess unter hohem Druck verfolgen wir hautnah mit, einschließlich der Momente, in denen Pflegekräfte eilends zur Toilette stürmen, hastig ein Sandwich verschlingen oder mitten in der Schicht einen emotionalen Zusammenbruch erleiden.
Die Ursache für den überfüllten Warteraum und den Mangel an Zeit und Ressourcen wird gleich zu Beginn in einer Auseinandersetzung zwischen Robby und der Krankenhausverwalterin Gloria Underwood (Charlene “Michael” Hyatt) deutlich. Ein zentrales Problem sind die sogenannten „Boarders“ – Patienten, die in der Notaufnahme festsitzen, weil sie auf ein Bett in einer anderen Station warten. Während Gloria betont, es gebe schlicht keine freien Betten, hält Robby dagegen, die Betten stünden zwar leer, würden aber nicht freigegeben, weil das Krankenhaus nicht genug Personal einstellt.
Das Krankenhaus besetzt Betten nur, wenn Einnahmen garantiert sind, und stützt sich auf Prognosemodelle, um den Bedarf an Betten zu schätzen. Die Notaufnahme wird zu einer Pufferzone, die den Rückstau auffängt, um die Besetzung ungenutzter Betten zu vermeiden. Gloria versucht, das Problem auf den „Personalmangel im ganzen Land“ zu schieben, und Robby entgegnet, dass es keinen Mangel gäbe, wenn man das Personal anständig bezahlen würde.
Eine Szene, die besonders nachhallt, ist der Tod von Mr. Spencer (Madison Mason), einem älteren Mann, den seine erwachsenen Kinder einliefern. Spencer leidet an Demenz, Lungenentzündung und Sepsis. Dr. Robby rät seinen Kindern von einer weiteren Behandlung ab, da dies gegen den Willen des Patienten verstoßen und wahrscheinlich nur weitere Schmerzen verursachen würde. Er begleitet die Familie mit viel Einfühlungsvermögen durch den Sterbeprozess, während er sich gleichzeitig um andere Patienten kümmert.
Nach einer Pandemie, die Millionen Menschen eines würdigen Abschieds beraubt hat, zeigt Mr. Spencers Tod, wie schwer die emotionale Belastung selbst unter vergleichsweise „komfortablen“ Bedingungen ist. Er ist eine Anklage gegen die „Forever Covid“-Politik der Regierungen von Biden, Trump und vieler anderer, die das Behandeln älterer Menschen als entbehrlich betrachten.
„The Pitt“ beleuchtet die Selbstaufopferung des Gesundheitspersonals und ihre Wertschätzung menschlichen Lebens. Daneben enthält sie auch lehrreiche Momente, in denen die Filmemacher die Zuschauer aufklären und Panikmache und Desinformation entgegenwirken.
Eine Folge beginnt damit, dass ein Junge mit einer masernbedingten Hirninfektion in die Notaufnahme eingeliefert wird. Wie das Personal rasch feststellt, war das Kind nie geimpft worden. Dr. Robby ist zunehmend frustriert über Eltern, die falsch informiert werden und das Leben ihres Sohnes durch die Verzögerung der Behandlung gefährden.
In einer anderen Szene widerspricht die Assistenzärztin Dr. Mel King (Taylor Dearden) einem Patienten direkt, der behauptet, Impfstoffe würden Autismus verursachen. Gegen diese längst widerlegte Propaganda, die besonders von Trumps Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. verbreitet wird, wehrt sich im Film Dr. King als eine Ärztin, die selbst neurodivergent ist und sich um ihre autistische Schwester kümmert.
Schließlich gibt es einen lehrreichen Moment, als zwei Frauen nach einer körperlichen Auseinandersetzung im Wartezimmer eingeliefert werden. Nachdem festgestellt wurde, dass eine Frau, die sich gegen das Tragen einer Maske weigert, operiert werden muss, erklärt Dr. Frank Langdon (Patrick Ball): „Nun, wir, die beruflich Leben retten, sind fest davon überzeugt, dass Masken das Risiko der Verbreitung von Krankheiten und Infektionen minimieren. Aber ich möchte Ihre Überzeugung respektieren, also was meinen Sie? Mit oder ohne Maske zur Operation? Ohne?“ Die Patientin überlegt es sich noch einmal.
Die Serie zeigt deutlich das explosive soziale Klima in den USA. Krankenhauspersonal wird regelmäßig angegriffen, und die letzten Folgen drehen sich um einen Amoklauf auf einem Musikfestival.
Eine Schwäche von „The Pitt“ ist, dass die Krankenhausmitarbeiter zwar als feindselig gegenüber der Geschäftsleitung dargestellt werden, es aber keine Anzeichen für Widerstand gibt. Der kämpferischste Moment ist, als ein Mitarbeiter der Krankenhausmanagerin Gloria droht, „mit unserem Gewerkschaftsvertreter zu sprechen“, nachdem ein Kollege während seiner Schicht angegriffen wurde.
Wenn es die Mission von „The Pitt“ ist, Krankenhausmitarbeiter realistisch zu porträtieren, sollten die Macher in einer zweiten Staffel vielleicht nicht nur das Leiden der Mitarbeiter thematisieren, sondern auch ihren Kampf. Eine Website verzeichnet allein in den USA über 100 Streiks von Krankenschwestern in den letzten fünf Jahren (www.nursetogether.com/nurse-strikes/). Die aktuelle Serie wurde während der Biden-Regierung gedreht und zeigt auf dramatische Weise die Verantwortung nicht nur der Demokratischen Partei, sondern auch der Gewerkschaften für die Vernachlässigung und den Niedergang des Gesundheitssystems.
Unterdessen wurde die Krise in den amerikanischen Krankenhäusern durch die Maßnahmen der von der Trump-Regierung eingesetzten wissenschaftsfeindlichen Quacksalber, die das öffentliche Gesundheitswesen und das Medicaid-System ruinieren, noch verschärft. Innerhalb weniger Monate wurde die Infrastruktur des öffentlichen Gesundheitswesens und der wissenschaftlichen Forschung in den USA systematisch demontiert. Über 20.000 Wissenschaftler und andere Beschäftigte im Gesundheitswesen wurden entlassen, ganze Abteilungen der Centers for Disease Control and Prevention und der National Institutes of Health wurden geschlossen und der Zugang zu wissenschaftlichen Daten für die Öffentlichkeit gesperrt. Programme zur Erfassung chronischer Krankheiten und zur Bekämpfung von Pandemien werden zerstört, während diejenigen, die die Öffentlichkeit warnen wollten, mit Maulkorberlassen mundtot gemacht werden.
Für eine zweite Staffel von „The Pitt“ gibt es mehr als genug Material.
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