Völkermord in Gaza: Merz verschafft sich ein Alibi

Es gibt kritische Worte, die fallen unweigerlich auf ihren Urheber zurück. Das gilt insbesondere für die „Kritik“, die Bundeskanzler Friedrich Merz Anfang dieser Woche an der israelischen Kriegsführung in Gaza übte.

Bundeskanzler Friedrich Merz trifft am 12. Mai Israels Staatspräsident Jitzchak Herzog [Photo by Bundesregierung / Marvin Ibo Güngör]

Regierungshörige Medien bezeichnen sie als „Wende in der deutschen Israel-Politik“. Tatsächlich sind Merz Äußerungen nichts dergleichen. Der Kanzler versucht, sich ein Alibi für ein Menschheitsverbrechen zu verschaffen, das er wie kaum ein anderer deutscher Politiker eineinhalb Jahre lang bedingungslos unterstützt hat, ohne dass er dabei an seiner Politik das Geringste ändert. Selbst zu einem Stopp der Waffenlieferungen an die israelische Armee ist die Bundesregierung nicht bereit.

Als Oppositionsführer hatte Merz die Regierung von Olaf Scholz, die Israel mit großen Mengen Waffen und Munition versorgte und jeden Verteidiger der Palästinenser als „Antisemiten“ verfolgte, von rechts angegriffen. Er warf Scholz wiederholt vor, er stehe nicht eindeutig genug an der Seite Israels und verzögere die Lieferung von Waffen. Noch im Januar betonte Merz, er werde das „faktische Exportembargo“ der aktuellen Bundesregierung bei Rüstungsgütern „umgehend beenden“.

Kurz nach der Bundestagswahl lud Merz den mit internationalem Haftbefehl gesuchten israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu zum Staatsbesuch nach Deutschland ein und versicherte ihm, dass der Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs unter seiner Kanzlerschaft nicht vollstreckt werde. Im Koalitionsvertrag der neuen Regierung werden „das Existenzrecht und die Sicherheit Israels“ als „Teil der deutschen Staatsräson“ beschworen. Noch in seiner ersten Regierungserklärung sagte Merz dem „unerträglichen Antisemitismus“ in Deutschland den Kampf an und beteuerte, Deutschland stehe „unverbrüchlich“ an der Seite Israels.

Wenn der Kanzler seine Tonlage jetzt etwas ändert, dann weil sich schlichtweg nicht mehr leugnen lässt, dass das Regime von Benjamin Netanjahu das größte Staatsverbrechen seit den Nazis begeht. Es hat offen seine Absicht erklärt, den ganzen Gazastreifen zu besetzen und seine zwei Millionen Einwohner zu vertreiben.

Um dies zu erreichen, verfolgt der israelische Staat eine gezielte Politik des Massenmords. Er hat die palästinensische Bevölkerung monatelang ausgehungert, indem er jede Zufuhr von Nahrungsmitteln und lebenswichtigen Medikamenten stoppte. Die israelische Armee bombardiert systematisch Wohngebiete, Flüchtlingsunterkünfte und Krankenhäuser und treibt die Einwohner auf kleinen Flächen zusammen. Die offizielle Zahl der Todesopfer liegt mittlerweile bei 54.000, die Mehrheit davon Frauen und Kinder. Die Dunkelziffer dürfte ein Vielfaches höher sein.

Doch selbst diese schreienden Verbrechen kritisiert Merz mit den mildest möglichen Worten. „Das, was die israelische Armee jetzt im Gazastreifen macht, ich verstehe, offen gestanden, nicht mehr, mit welchem Ziel“, sagte er am Montag beim WDR-Europaforum. Die israelische Regierung dürfe „nichts tun, was nun irgendwann ihre besten Freunde nicht mehr bereit sind, zu akzeptieren“.

Und am Dienstag sagte Merz in Finnland: „Die massiven militärischen Schläge der israelischen Armee im Gazastreifen lassen für mich keine Logik mehr erkennen, wie sie dem Ziel dienen, den Terror zu bekämpfen und die Geiseln zu befreien.“

Schlussfolgerungen? Keine. Merz versucht, seine Spuren zu verwischen, um so wie bisher weiterzumachen.

Auch die Verfolgung von Arbeitern, Studierenden und Jugendlichen, die gegen den Völkermord an den Palästinensern protestieren, geht unvermindert weiter. Die Merz-Regierung, die den Konflikt mit Russland systematisch eskaliert und vehement aufrüstet, kann keinerlei Opposition gegen Krieg und Militarismus dulden. Ihre Unterdrückung der Gaza-Proteste ist eng mit dem Vorgehen gegen jede Opposition gegen Krieg verbunden.

Merz hat freie Hand, weil alle im Bundestag vertretenen Parteien hinter ihm stehen. Sie haben nur taktische Differenzen. Die SPD ist als Koalitionspartner fest in die Regierungsarbeit eingebunden. Die Grünen sind die heftigsten Befürworter des Kriegs gegen Russland und des israelischen „Rechts auf Selbstverteidigung“ – ein Synonym für den Völkermord an den Palästinensern. Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock hat Israel in ihrer Amtszeit über ein Dutzend Mal besucht.

Auch die AfD steht – wie fast alle rechtsextremen Parteien Europas – hinter dem Netanjahu-Regime. Sie unterstützt auch die Aufrüstung der Bundeswehr, die ihr sogar nicht weit genug geht. Sie hat lediglich Vorbehalte gegenüber der militärischen Unterstützung der Ukraine, weil sie Russland für den falschen Gegner hält.

Die Linke spielt eine besonders perfide Rolle. Sie übt verbale Kritik, um die weitverbreitete Unzufriedenheit aufzufangen, unterstützt aber in allen entscheidenden Fragen die Regierungspolitik. Sie beschwört das „Selbstverteidigungsrecht“ Israels, hat im Bundesrat für das Eine-Billion-Rüstungsprogramm gestimmt und im Bundestag Merz zur schnellen Kanzlerwahl verholfen.

Die Linke unterstützt, wie alle anderen etablierte Parteien, die Lüge, dass die Ablehnung des Zionismus gleichbedeutend mit Antisemitismus sei. In Wirklichkeit war der Zionismus seit seiner Entstehung im 19. Jahrhundert eine reaktionäre, nationalistische Ideologie, die sich gegen die aufblühende sozialistische Arbeiterbewegung richtete, die unter jüdischen Arbeitern und Intellektuellen großen Einfluss gewann.

Der Zionismus leugnete, dass der moderne Antisemitismus ein Produkt der Krise des Kapitalismus ist. Dieser diente faschistischen Bewegungen dazu, die Arbeiterklasse zu spalten und heruntergekommene Schichten gegen die sozialistische Arbeiterbewegung zu mobilisieren. Hitlers Kampfparole vom „jüdischen Bolschewismus“ brachte dies zum Ausdruck.

Der Zionismus sieht die Emanzipation der Juden nicht als Teil der Emanzipation der Arbeiterklasse, der Überwindung jeder Art von sozialer, politischer und nationaler Unterdrückung. Er strebte einen jüdischen Nationalstaat an, der andere Nationalitäten unterdrückt und sich imperialistischen Mächten als Hilfskraft anbietet. So entstand 1948 der Staat Israel. Die palästinensische Bevölkerung wurde gewaltsam vertrieben und der zionistische Staat diente erst den Briten, dann den USA als militärischer Brückenkopf in der größtenteils von Arabern bewohnten, rohstoffreichen Region.

Auch das deutsch-israelische Verhältnis hatte, wie wir in einem früheren Artikel gezeigt haben, nie etwas mit Versöhnung und Wiedergutmachung zu tun. Deutschland verhalf dem zionistischen Staat zu dringend benötigten Waffen und finanzieller Unterstützung. Als Gegenleistung erhöhte die „Versöhnung“ mit Israel das internationale Ansehen der deutschen Regierung, die deutsche Wirtschaft erhielt Zugang zum Nahen Osten, und die israelische Regierung half, die Nazi-Vergangenheit hochrangiger deutscher Staatsbeamter zu vertuschen.

Die Entwicklung Israels zu einem Unterdrückerstaat, der furchtbare Menschheitsverbrechen begeht, bestätigt die Warnung der Vierten Internationale, dass der Zionismus in eine fürchterliche Sackgasse führt. Leo Trotzki hatte 1940 den Versuch, „die Judenfrage durch die Auswanderung von Juden nach Palästina zu lösen“, als „tragische Verhöhnung des jüdischen Volkes“ bezeichnet. „Nie war es so klar wie heute, dass die Rettung des jüdischen Volkes untrennbar mit dem Sturz des kapitalistischen Systems verbunden ist,“ schrieb er.

Auch wenn Merz – wie vor einer Woche bereits die Regierungschefs von Großbritannien, Frankreich und Kanada – sich gezwungen sieht, seine Spuren zu verwischen, werden Appelle an die imperialistischen Regierungen den Genozid in Gaza nicht stoppen. Dies ist nur durch die Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse im Kampf für ihre sozialen, wirtschaftlichen und politischen Rechte und für eine sozialistische Gesellschaft möglich.

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