Die neue Bundesregierung unter Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) ist erst drei Wochen im Amt, doch schon jetzt ist klar, dass die Eskalation des Kriegs mit Russland und die militärische Aufrüstung im Zentrum ihrer Politik stehen und alle anderen Bereiche überschatten werden. Während Merz von Kriegsgipfel zu Kriegsgipfel reist, bereitet Finanzminister Klingbeil einen Sparhaushalt vor, der die gewaltigen Kosten des Militarismus auf die arbeitende Bevölkerung abwälzt.
Bereits Merz‘ Vorgänger Olaf Scholz (SPD) hatte vor drei Jahren eine militärpolitische „Zeitenwende“ verkündet, dafür einen 100-Milliarden-Euro-Sonderfonds bereitgestellt und den Ukrainekrieg mit Militärhilfen von 13 Milliarden Euro befeuert. Nun wirft Merz auch noch die letzten Vorsichtsmaßnahmen beiseite, die einer ungebremsten Eskalation des Kriegs mit Russland im Wege standen.
Am Montag verkündete der Kanzler in einem WDR-Interview, es gebe „keinerlei Reichweitenbeschränkungen mehr für Waffen, die an die Ukraine geliefert worden sind. … Die Ukraine kann sich jetzt auch verteidigen, indem sie zum Beispiel militärische Stellungen in Russland angreift.“
Da Deutschland bisher keine Waffen mit mehr als 84 Kilometer Reichweite geliefert hat, wurde dies als Eingeständnis gewertet, dass Deutschland der Ukraine nun auch den umstrittenen Taurus-Marschflugkörper mit 500 Kilometern Reichweite zur Verfügung stellt. Scholz hatte dies noch abgelehnt, da Moskau den Einsatz der hochkomplexen Waffe, deren Einsatz deutsches Personal erfordert, als deutsche Kriegsbeteiligung wertet und mit Gegenschlägen droht, die auch deutsche Ziele treffen könnten.
Merz hatte sich bereits im Wahlkampf für die Lieferung von Taurus eingesetzt. Im Gegensatz zur Vorgängerin gibt seine Regierung nicht mehr bekannt, welche Waffen sie nach Kiew liefert. Sie begründet dies mit „strategischer Ambiguität“: Moskau solle nicht wissen, was die Nato plant. Tatsächlich dient die Geheimhaltung der Täuschung der Öffentlichkeit. Den russischen Geheimdiensten dürfte es dagegen nicht schwerfallen, herauszufinden, welche Waffen Deutschland liefert.
Mit der Eskalation des Kriegs gegen die Atommacht Russland nimmt die Merz-Regierung ein gewaltiges Risiko in Kauf. Eine Ausweitung des Kriegs droht ganz Europa in eine Trümmerwüste zu verwandeln. Trotzdem erhebt sich in der offiziellen Politik und den etablierten Medien nicht eine ernsthafte Stimme dagegen.
Die Grünen, die zweitgrößte Oppositionspartei im Bundestag, begrüßten Merz‘ Ankündigung begeistert. Sie sei „folgerichtig und überfällig“, lobte Fraktionsvize Agnieska Brugger. Sie forderte, Kiew nun auch den Taurus zur Verfügung zu stellen. „Wladimir Putin bombt mit neuer Grausamkeit gerade jegliche Friedensbemühungen und Gesprächsangebote in Grund und Boden. Es wäre ein Fehler, dies tatenlos hinzunehmen.“
Die SPD versuchte abzuwiegeln. Es gebe „keine neue Verabredung, die über das hinausgeht, was die bisherige Regierung gemacht hat“, behauptete Parteichef Klingbeil wider besseres Wissen.
Und Die Linke unterstützte wie gewohnt die Kriegspropaganda der Regierung, um dann mahnend den Zeigefinder zu erheben. „Die Bombardierung ukrainischer Städte und Infrastruktur, der fortgesetzte Angriff auf Zivilistinnen und Zivilisten müssen von Russland beendet werden,“ schrieb der Fraktionsvorsitzende Sören Pellmann und appellierte an die Friedensbereitschaft der Mächtigen. „Frieden lässt sich nicht herbeibomben“, erklärte er. Ein Ende des Krieges und einen gerechten Frieden könne es nur „mit einer international abgestimmten Friedensinitiative“ geben.
Eine solche internationale Friedensinitiative ist ein frommer Wunsch, der ausschließlich dazu dient, die weit verbreitete Opposition gegen Aufrüstung und Krieg einzuschläfern. Die Herrschenden in Berlin, Paris, London und Washington wollen keinen Frieden, sondern die Kontrolle über die rohstoffreiche Ukraine und die Unterwerfung Russlands mit seinen gewaltigen Bodenschätzen.
Merz selbst betonte am Dienstag bei einem Besuch in Finnland, dass er mit einer langen Fortsetzung des Kriegs rechne. „Kriege enden in der Regel durch wirtschaftliche oder militärische Erschöpfung einer oder beider Seiten, und davon sind wir in diesem Krieg offensichtlich noch weit entfernt,“ sagte er.
Die deutsche Regierung reagiert auf den wachsenden Konflikt mit Washington unter Trump, indem sie zur Großmachtpolitik und zum Militarismus zurückkehrt, die in zwei Weltkriegen in die Katastrophe geführt haben. Sie versucht, sich zur dominierenden Militärmacht Europas aufzuschwingen und ihren Einfluss auf Osteuropa und Russland auszudehnen.
Der Bundestag hat bereits im März alle Kreditbeschränkungen für Rüstungsausgaben aufgehoben und eine Billion Euro für Aufrüstung und Krieg zur Verfügung gestellt. In seiner ersten Regierungserklärung verkündete Merz das Ziel, die Bundeswehr zur „stärksten konventionellen Armee Europas“ zu machen.
Unmittelbar nach seiner Vereidigung reiste der Kanzler dann in Begleitung des französischen Präsidenten und der Regierungschefs Großbritanniens und Polens nach Kiew, um Präsident Selenskyj den Rücken zu stärken – auch gegen Bemühungen von US-Präsident Trump, mit seinem russischen Amtskollegen Putin zu einer Vereinbarung zu kommen. Am heutigen Mittwoch trifft Merz in Berlin alleine mit Selenskyj zusammen, um das weitere Vorgehen im Krieg gegen Russland zu besprechen.
Die europäischen Mächte können den Ukrainekrieg zwar derzeit schwer ohne US-Unterstützung fortsetzen und versuchen, den amerikanischen Präsidenten, der zwischen Putin und Selenskyj schwankt, auf ihre Seite zu ziehen. Aber alle Planungen und Strategiepapiere gehen davon aus, dass Europa spätestens in fünf Jahren militärisch unabhängig von den USA agieren muss – und dass nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Afrika, dem Nahen Osten und anderen Weltregionen.
Wie Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts bilden sich wieder imperialistische Machtblöcke, die sich dann auf den Schlachtfeldern der Welt bekämpfen. Der Konflikt mit Trump schweißt die europäischen Mächte zwar momentan zusammen, aber mit der Aufrüstung werden unweigerlich auch die alten Konflikte über die Vorherrschaft in Europa wieder aufbrechen.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Das Londoner International Institute for Strategic Studies (IISS) hat in einer Studie untersucht, was es Europa kostet, sich im Falle eines Rückzugs der USA aus der Nato für einen Krieg gegen Russland zu wappnen. Es kommt auf zusätzliche Kosten von 1000 Milliarden Dollar. Allein für die Anschaffung neuer Militärgüter wären 226 bis 344 Milliarden Dollar erforderlich. Unter anderem müssten 400 neue Kampfflugzeuge, 15 U-Boot-Jagdflugzeuge, 500 Helikopter, zwei Flugzeugträger, 20 Zerstörer, 6 Fregatten, 10 atomgetriebene Unterseeboote, 600 Kampf- und 800 Schützenpanzer angeschafft werden. Hinzu kommen Raketen, Drohnen und Aufklärungssysteme.
Die europäischen Armeen sind eifrig dabei, solche Pläne umzusetzen. So hat der Generalsinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, am 19. Mai eine „Weisung zur Steigerung der Einsatz- und Verteidigungsbereitschaft“ erlassen, die die Schwerpunkte der Aufrüstung festlegt, um bis 2029 die „Herstellung der umfassenden Einsatzbereitschaft der Streitkräfte“ zu erreichen.
Dazu gehören die Vollausstattung und Digitalisierung der Gesamtheit der Truppenkörper einschließlich Reserve und Heimatschutz, die Stärkung der Luftabwehr gegen Raketen und Drohnenschwärme, die Aufstockung der Munitionsvorräte, die Beschaffung von KI-optimierten Drohnen und Munition, der Ausbau der Fähigkeiten zum elektronischen Kampf, die Stärkung kampffähiger Großverbände, der Ausbau moderner Luftangriffskapazität, inkl. Nuklearer Teilhabe, der Ausbau zukunftsfähiger Seekriegsmittel sowie offensiver und defensiver Fähigkeiten im Cyberraum, der Aufbau einer verteidigungsfähigen Weltraumarchitektur inklusive offensiver/defensiver Fähigkeiten, die Sicherstellung der Aufwuchsfähigkeit (also die Wiedereinführung des Wehrdiensts) und der Ausbau verteidigungswichtiger Infrastruktur.
Die Europäische Union hat unter Federführung der ehemaligen deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) das 150 Milliarden Euro schwere Rüstungsprogramm SAFE (Security Action for Europe) beschlossen. Es stellt den Mitgliedsstaaten langfristige Darlehen für gemeinsame Rüstungsvorhaben zur Verfügung.
Das Programm dient als Hebel, um die europäische Rüstungsindustrie zu stärken und zu konsolidieren und die Abhängigkeit von den USA zu verringern. Die geförderten Waffen müssen überwiegend innerhalb der EU hergestellt werden und miteinander kompatibel sein. Zugang zu den Krediten haben nur EU-Mitglieder und die Ukraine sowie Staaten, die eine Sicherheits- und Verteidigungspartnerschaft mit der EU vereinbaren und mit mindestens einem EU-Mitglied zusammenarbeiten. Letzteres betrifft vor allem Großbritannien.
Die Ukraine wurde auch deshalb aufgenommen, weil sie eine preiswerte Rüstungsindustrie aufgebaut hat, deren Erzeugnisse sofort auf dem Schlachtfeld erprobt werden können.
Dieses gewaltigen Aufrüstungs- und Kriegsprogramms ist nur mit der Aufrüstung vergleichbar, die dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg vorausging. Sie wird in eine nukleare Katastrophe führen, wenn sie nicht durch das Eingreifen der Arbeiterklasse gestoppt wird. Diese hat die Hauptlast der Rüstung zu tragen und steht deshalb in unversöhnlichem Konflikt zu den Herrschenden.
Aber sie braucht eine unabhängige politische Perspektive – eine Perspektive, die die internationale Einheit mit dem Kampf für eine sozialistische Gesellschaft verbindet, in der die menschlichen Bedürfnisse und nicht die Profitinteressen der Reichen entscheidend sind. Dafür treten die Sozialistische Gleichheitspartei und das Internationale Komitee der Vierten Internationale ein.