Der 80. Jahrestag des Untergangs des Nazi-Regimes in der Ukraine

Wie die ukrainische Regierung den Tag des Sieges verbieten und auslöschen will

Im Zweiten Weltkrieg wurden schätzungsweise fünf Millionen Ukrainer, darunter etwa 1,5 Millionen Juden, von den in die Sowjetunion eingedrungenen Nazi-Truppen ermordet. Deren faschistische Kollaborateure in der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) und der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA), beteiligten sich aktiv an diesem Massenmord, der erst durch den heldenhaften Kampf der sowjetischen Roten Armee beendet wurde. Seit Jahrzehnten wird das offizielle Ende des Kriegs in der ehemaligen Sowjetunion am 9. Mai als „Tag des Sieges“ gefeiert, auch in der Ukraine. Im Jahr 2023 verlegte die Selenskyj-Regierung, die nun im Auftrag der Nato einen Stellvertreterkrieg gegen Russland führt, den Tag des Sieges auf den 8. Mai, in Übereinstimmung mit dem westeuropäischen Kalender, um das historische Bewusstsein zu untergraben und antirussischen Chauvinismus zu schüren.

Angehörige einer paramilitärischen SS-Einheit ermorden 1942 jüdische Zivilisten, darunter eine Mutter und ihr Kind, im ukrainischen Iwangorod.

Doch trotz dieser offiziellen Versuche, den Feiertag zu unterdrücken, wurden am 9. Mai auf der ukrainischen Seite von Google die Suchanfragen nach „Karten zum Tag des Sieges“, „80 Jahre Tag des Sieges“ und „9. Mai“ am häufigsten eingegeben. Die Liste der Top-Suchbegriffe enthielt auch „Lied zum Tag des Sieges “ und „Parade in Moskau 2025“. In Odessa und Kiew legten Ukrainer massenhaft Blumen an sowjetischen Denkmälern nieder, die von der Polizei abgesperrt wurden.

In Odessa erlaubten Polizei und Nationalgarde den Zugang zum Denkmal erst nach einer Ausweiskontrolle, was eindeutig ein Versuch war, die Zahl der Besucher des Denkmals deutlich zu reduzieren – schließlich denken nicht viele Menschen daran, ihren Ausweis zu einem seit 80 Jahren begangenen öffentlichen Massenfeiertag mitzubringen.

In Kiew ging die Polizei gegen sämtliche Besucher vor, die es wagten den Opfern des Nazi-Angriffs auf andere Weise als durch das Niederlegen von Blumen zu gedenken. Am Denkmal des ewigen Ruhmes versuchte die Polizei, zwei Frauen festzunehmen, die auf ihren Handys das bekannte sowjetische Lied „Tag des Sieges“ abspielten.

Das Denkmal des unbekannten Soldaten, das der Roten Armee gewidmet ist, im Park des ewigen Ruhmes in Kiew [Photo by Tiia Monto / undefined]

Eine der beiden Frauen wurde tatsächlich festgenommen, obwohl sie den Anweisungen der Polizei Folge leistete und versuchte, den Konflikt zu entschärfen. Die Polizei rechtfertigte das Verbot, dieses 1975 in der Sowjetunion geschriebene Lied zu spielen, mit der Behauptung, es sei ein „russisches Lied“ und werde auf Russisch gesungen. Nachdem die Frau gefragt hatte, ob sie auch verhaftet würde, weil sie auf Russisch gebetet hat, wurde sie von zwei Polizeibeamten gepackt und in einen Streifenwagen gesteckt. Die zweite Frau konnte der Verhaftung offenbar nur entgehen, weil sie von Umstehenden beschützt wurde.

Auch gegen einen älteren Mann, der am Tag des Sieges am Denkmal Lieder sang, wurde schikaniert. Er wurde festgenommen, weil er das Lied „Wragi soschgli rodnuju chatu“ („Die Feinde haben unsere Heimat niedergebrannt“) sang, ein populäres, 1946 geschriebenes sowjetisches Lied über den deutsch-sowjetischen Krieg. Als man ihn abführen wollte, hielten er und zwei Rentner, die mit ihm gekommen waren, sich gegenseitig fest, um zu verhindern, dass er weggezerrt wird. Daraufhin zog einer der Polizeibeamten ihn so aggressiv am Arm, dass die drei Rentner hinfielen. Letzten Endes wurde der alte Mann abgeführt, und offizielle Nachrichtenquellen wie Kanal 24 verurteilten ihn und die anderen beiden Rentner als „Unterstützer der ,russischen Welt‘“ und warfen ihnen vor, mit dem „Kampf“ angefangen zu haben (womit sie beschrieben, dass die Rentner zu Boden fielen).

Es kam noch zu weiteren Polizeischikanen. Eine Rentnerin wurde verhaftet, weil sie sich dem Denkmal mit einer Mütze näherte, auf der sich ein kleiner roter Stern befand – eines der vielen sowjetischen Symbole, die seit dem von den USA und der EU unterstützten Kiewer Putsch im Februar 2014 im Rahmen der 2015 eingeführten reaktionären Politik der „Dekommunisierung“ verboten wurden. Die Rentnerin erklärte, sie sei bereits sechsmal verhaftet worden, offenbar für die gleiche Art von „Vergehen“. Kanal 24 verunglimpfte sie in ihrer Berichterstattung als russische Propagandistin.

Der politische Ernst des staatlichen Vorgehens gegen verbotene sowjetische Symbole kann nicht genug betont werden. Zwar wurden in der Ukraine offiziell auch faschistische Symbole verboten, doch in Wirklichkeit sind diverse Neonazi-Gruppen wie Asow eng in den Militärapparat des ukrainischen Staates eingebunden und dürfen verschiedene Nazisymbole auf ihren Uniformen und als Tätowierungen tragen. Symbole, die mit der faschistischen Organisation Ukrainischer Nationalisten assoziiert werden, sind in offizielle staatliche Symbole eingebunden worden, und der faschistische Gruß „Slawa Ukraini“ (Ruhm der Ukraine) wird routinemäßig von Präsident Wolodymyr Selenskyj und Nato-Politikern benutzt.

Der kanadische Botschafter in der Ukraine, Roman Waschuk, spricht im August 2019 bei einer Gedenkveranstaltung in Kiew für die Soldaten der Organisation Ukrainischer Nationalisten und der Ukrainischen Aufständischen Armee, die mit den Nazis bei der Ermordung von Hunderttausenden von Polen und Juden kollaboriert haben. Mitglieder der Organisationen kämpften oft unter deutscher Führung und in deutschen Uniformen. [Photo by Coalition to Oppose the Arms Trade]

Mit solch brutalen Maßnahmen versucht die ukrainische Regierung, den Tag des Sieges aus dem kollektiven Gedächtnis zu tilgen. Sie handelt dabei auf direkten Befehl der Oligarchie und verfolgt das Ziel, die Sowjetunion aus der Erinnerung der ukrainischen Arbeiterklasse auszulöschen. Die zunehmende Brutalität dieser Versuche erklärt sich aus der Tatsache, dass die Oligarchie Angst vor der ukrainischen Arbeiterklasse hat, die sich unter den Bedingungen des Kriegs radikalisiert.

Diese Furcht ist auch der Grund für die Verhaftung unseres Genossen, des ukrainischen Trotzkisten Bogdan Syrotjuk. Er wurde vor mehr als einem Jahr, am 25. April 2024, vom ukrainischen Geheimdienst SBU wegen fingierter Vorwürfe des „Staatsverrats“ verhaftet. Tatsächlich war sein einziges „Verbrechen“, Artikel für die WSWS zu schreiben und sich für die Einheit der ukrainischen und russischen Arbeiterklasse gegen den Krieg und die Oligarchien einzusetzen. Die ukrainische Oligarchie befürchtete, dass angesichts des Krieges die Ideen des Trotzkismus schnell auf Resonanz in der Arbeiterklasse stoßen und eine revolutionäre Bewegung beeinflussen könnten, die nicht nur zum Sturz von Selenskyjs Diktatur und zum Ende des Kriegs, sondern auch zum Sturz des Kapitalismus, der wirtschaftlichen Grundlage der Oligarchen, führen würde.

Doch der Versuch, die Geschichte einfach auszulöschen und jeglichen Widerstand gegen die Oligarchen zu unterdrücken, reicht ihnen nicht. Sie müssen die Arbeiterklasse auch mit ihrer Propaganda und der Förderung von ukrainischem Nationalismus und antirussischem Chauvinismus verwirren. Das Epizentrum der ukrainischen Propaganda am Tag des Sieges war das Kiewer Sicherheitsforum am 8. und 9. Mai. Neben den allgegenwärtigen Forderungen an die Europäische Union, direkt in den Krieg gegen Russland einzugreifen (das zentrale Thema des Forums) und der üblichen Propaganda über „demokratische Werte“ machten die Redner auch mehrere chauvinistische Bemerkungen gegen „das russische Volk“. Eines der auffälligsten Beispiele war die Rede des Vorsitzenden des Forums und ehemaligen Premierministers der Ukraine von 2014 bis 2016, Arseni Jazenjuk:

Wir müssen beachten, dass es in diesem Krieg nicht nur um Putin geht. Wir sprechen vom russischen Volk und den tief verwurzelten Ursachen, die Putin zu dem Angriff auf die Ukraine gebracht haben. Die Russen haben die Ukrainer schon immer gehasst. Russen haben schon immer versucht, die ukrainische Nation auszulöschen. Das begann schon zu Zeiten des Russischen Zarenreichs vor Hunderten von Jahren. Und Putin ist wirklich Ausdruck der Gefühle und Einstellungen der großen Mehrheit der Russen. Also müssen sie für alles die Verantwortung tragen, was Putin und sein Regime tun.“ [Hervorhebung hinzugefügt]

Jedes Wort dieses Vertreters der Oligarchie trieft vor Lügen und Betrug. Da dieser Scharlatan bemerkte, dass seine nationalistische Rhetorik durch die Geschichte der Oktoberrevolution von 1917, des anschließenden Bürgerkriegs und des Kriegs gegen den Faschismus, in dem ukrainische und russische Arbeiter Seite an Seite kämpften, zerschmettert wurde, konzentrierte er sich stattdessen auf das Russische Zarenreich. Obwohl die Politik der stalinistischen Bürokraten Leid über mehrere Völker brachte, gab es während des Bestehens der Sowjetunion keine auch nur annähernd vergleichbare Versuche der „Russen“, „die ukrainische Nation auszulöschen“. Dagegen unternahmen die Nazis und ihre ukrainischen Komplizen, die Anhänger von Stepan Bandera, dem der Staat heute Denkmäler errichtet, Versuche die Ukrainer auszulöschen.

Stepan Bandera-Denkmal in Lwiw [AP Photo/Bernat Armangue]

Die ukrainische Oligarchie versucht, alles auszulöschen, was mit der Sowjetunion zu tun hat, und gleichzeitig das kollektive Gedächtnis der Bevölkerung mit verschiedenen Arten von Unsinn zu füllen – vor allem mit ukrainischem Nationalismus. Der Nationalismus spaltet die internationale Arbeiterklasse entlang nationaler Grenzen und setzt damit die Arbeiterklasse jedes einzelnen Landes mit dessen oligarchischem Staat gleich, vereint sie zu einem „Volk“ und versucht, die Klassengrenzen zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie auszulöschen.

Doch die Arbeiterklassen der Ukraine und Russlands haben nichts mit den Oligarchien gemein, die sie beherrschen und unterdrücken. Der Prozess der internationalen Produktion vereint sie mit allen Teilen der internationalen Arbeiterklasse. Dazu kommt die historische Tatsache, dass die ukrainische und die russische Arbeiterklasse in allen revolutionären Kämpfen des 20. Jahrhunderts eng miteinander verbunden waren. Noch wichtiger ist jedoch, dass die Interessen der Arbeiterklasse im direkten Widerspruch zu den Interessen der Oligarchie stehen, die aus den Arbeitern die letzten Reste von Blut und Kraft herauspresst, um ihr eigenes Vermögen zu vergrößern.

Die Versuche der ukrainischen Oligarchie, in der Bevölkerung jede Erinnerungen an die Sowjetunion auszulöschen, sind kein Ausdruck der Stärke ihrer Position, sondern ihrer Schwäche. Die ukrainische Oligarchie hat tödliche Angst, dass die ukrainische Arbeiterklasse zu den Traditionen der Oktoberrevolution zurückkehrt und sie stürzt. Doch genau das ist notwendig.

Der Krieg in der Ukraine, der bereits Hunderttausende von Menschenleben gefordert hat, ist ein besonders deutlicher Ausdruck der Tatsache, dass der Kapitalismus als Wirtschaftssystem seine fortschrittliche Rolle vor mehr als hundert Jahren überlebt hat und nun in seinen Todeskampf zurückkehrt. Kriege, Wirtschaftskrisen und Faschismus tauchen überall auf der Welt wieder auf. Die ukrainische und russische Arbeiterklasse müssen ihre sozialistischen Traditionen wiederbeleben, die Lehren aus dem Kampf der trotzkistischen Bewegung gegen den Stalinismus ziehen und sich erneut im Kampf gegen Krieg, Kapitalismus, Imperialismus und die Oligarchien beider Länder vereinen!

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