Landgericht Duisburg: Ausrufe „From the river to the sea...“ und „Yalla Intifada“ nicht strafbar

Ahmad Othman und Leon Wystrychowski [Photo: WSWS]

Am Mittwoch hat das Landgericht Duisburg einen der Mitbegründer der inzwischen verbotenen „Palästina Solidarität Duisburg“ (PSDU), Leon Wystrychowski, vom Vorwurf der „Billigung von Straftaten“ – der Hamas – freigesprochen.

Am 9. Oktober 2023 hatte er eine Demonstration in Solidarität mit den Palästinensern, die zwei Tage zuvor aus dem abgeriegelten Gaza-Streifen ausgebrochen waren, im Duisburger Stadtteil Hochfeld angemeldet. Die WSWS berichtete damals von der Demonstration, zu der anfangs mehr Medienvertreter als Teilnehmende kamen, die offensichtlich Bilder und Statements suchten, die die Demonstration und die Solidarität mit den Palästinensern diskreditieren und kriminalisieren sollten.

Die Duisburger Staatsanwaltschaft führte daraufhin mehrere Verfahren gegen Teilnehmende der Demonstration. Leon Wystrychowski warf sie vor, Straftaten nach § 140 StGB gebilligt zu haben, indem er auf der Demonstration und Kundgebung am 9. Oktober 2023 die Parolen „From the River to the Sea Palestine will be free“ und „Von Duisburg bis nach Gaza Yalla Intifada“ angestimmt haben soll.

Die „Belohnung und Billigung von Straftaten“ wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe geahndet.

Der Duisburger Amtsrichter Haberland verurteilte Leon am 10. April 2024 in erster Instanz. Er stützte sich auf das Konstrukt der Staatsanwaltschaft, dass die Parole „From the River …“ zwar nicht grundsätzlich strafbar sei, aber der „zeitlich enge Zusammenhang“ mit den „Morden, Entführungen, Schändungen der Hamas“ beweise, dass der Angeklagte diese Straftaten billige. Es war die erste Verurteilung in Deutschland wegen dieser Parole; später wurde das Urteil in Entscheidungen u. a. vom Amtsgericht Berlin aufgenommen, ganze Passagen herauskopiert.

Zu dieser Zeit fand der Völkermord in Gaza schon vor aller Augen statt. Deshalb wurden Israel und wegen Beihilfe auch Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof angeklagt. Das erstinstanzliche Urteil gegen Leon sowie weitere Verfahren und Urteile gegen Genozid-Gegner waren ein wichtiger Schritt zur Eskalation der gnadenlosen Verfolgung aller Kritiker des Völkermords. Bis heute werden Pro-Palästina- und Anti-Genozid-Demonstrationen mit Polizeigewalt attackiert, aufgelöst oder erst gar nicht erlaubt, studentische Proteste niedergeknüppelt und mit Sanktionen der Universitäten bestraft sowie Genozid-Gegner mit Anklagen überhäuft. Allein in Berlin hat die Polizei im ersten Jahr nach dem 7. Oktober 2023 über 5000 „anti-israelische“ Straftaten verfolgt. Völkermordgegner ohne deutschen Pass werden mittlerweile abgeschoben bzw. mit Abschiebung bedroht.

Nur rund einen Monat nach der Verurteilung Leons in erster Instanz wurde die PSDU verboten. Die Vollstreckung der schon mit Datum vom 18. März ausgestellten Verbotsverfügung durch das nordrhein-westfälische Innenministerium unter Herbert Reul (CDU) wurde auf den 16. Mai 2024 gelegt.

Leon Wystrychowski hat gemeinsam mit Ahmad Othman gegen das Verbot vor dem Oberverwaltungsgericht Münster Klage eingereicht. Ein Eilantrag gegen den Beschluss, dass das PSDU-Verbot sofort vollzogen wird, ist bereits abgelehnt worden.

Während also Kritiker der israelischen Regierung und deren Genozids an den Palästinensern als „Antisemiten“ und „Hamas- und Terrorunterstützer“ denunziert werden, haben die alte wie neue Bundesregierung die Verteidigung der israelischen Regierung und die Beteiligung am Völkermord zur Staatsräson erklärt.

Das offene Bekenntnis zu den Methoden des Völkermords durch Bundesregierung, staatliche Institutionen und die größten Medien des Landes hat nichts mit der Verantwortung für die Shoa zu tun, also dem industriellen Mord an sechs Millionen Juden durch die Nationalsozialisten. In einem Artikel dazu schrieb die WSWS:

Israel dient Deutschland, wie auch den USA, als militärischer Brückenkopf in einer Region, die über riesige Rohstoffvorkommen verfügt und von zentraler Bedeutung ist. Der Widerstand der Palästinenser, der unter den arabischen Massen große Unterstützung genießt, steht der imperialistischen Kontrolle über die Region im Wege. Deshalb muss er ausgeschaltet werden.

Diese wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen Deutschlands – und die Tatsache, dass sich je nach Umfrage 60 bis 80 Prozent der Bevölkerung gegen das Vorgehen Israels aussprechen – sind der eigentliche Grund für die erbarmungslose Verfolgung der Gegner des Völkermords in Gaza.

Diese breite Opposition wurde auch im Prozess am Duisburger Landgericht deutlich. Zum ersten Prozesstag am 12. Mai kamen über 70 Unterstützerinnen und Unterstützer. Da Leon Wystrychowski Beweisanträge gestellt hatte, setzte die Vorsitzende Richterin Dr. Ostkamp-Zhu einen zweiten Prozesstag an, der wegen des großen öffentlichen Interesses in den größten Saal des Landgerichts verlegt wurde. Unter dem Protest der Zuschauer hatte die Richterin angeordnet, dass dort keine Kufiyas im Saal getragen werden durften.

Umso wichtiger ist nun, dass sie Leon Wystrychowski vom Vorwurf der Billigung von Straftaten freigesprochen hat. Richterin Ostkamp-Zhu hat nach Sichtung aller vorgetragenen Aussagen und Plädoyers sowie der Präsentation von Beweisen in ihrer kurzen mündlichen Urteilsbegründung klargestellt, dass erstens die Demonstration am 9. Oktober 2023 nicht aggressiv oder aufgeheizt war, wie Presse und Fernsehsender berichtet haben. Es gab Aggressivität und Spannungen, diese aber erst, als die Demo auf einen Gegenprotest von einigen wenigen Zionisten und Unterstützern der Netanjahu-Regierung traf. Sie stellte zweitens klar, dass der Angeklagte in seiner Rede weder Gewalt verherrlicht noch zu Straftaten aufgerufen hat. Vielmehr habe er zu internationaler Solidarität und Unterstützung der Palästinenser aufgerufen.

Ostkamp-Zhu bezog sich vor allem auf Gerichtsurteile des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in Kassel (Az. 8 B 560/24) und des Oberverwaltungsgerichts in Bremen (Az. 1 B 163/24).

Beide Gerichte hatten in 2024 über die Parole „From the River …” zu urteilen. Der 8. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs hatte am 22. März 2024 entschieden, dass bei der strafrechtlichen Einordnung dieser Parole zwar zu berücksichtigen sei, dass damit der Wunsch nach einem freien Palästina vom (Jordan) Fluss bis zum Mittelmeer – einschließlich des Gebiets Israels in seinen heutigen Grenzen – ausgedrückt werde. Die Parole sage aber nichts darüber aus, wie dieses Ziel erreicht werden solle. „Grundsätzlich seien politisch verschiedene Mittel und Wege denkbar, dieses abstrakte Ziel zu erreichen, beispielsweise durch völkerrechtliche Verträge, eine Zwei-Staaten-Lösung, einen einheitlichen Staat mit gleichen Bürgerrechten für Israelis und Palästinenser oder aber mittels des bewaffneten Kampfes“, so das VGH Kassel in seiner Pressemitteilung. Eine Strafbarkeit der Äußerung folge bei einer summarischen Prüfung weder aus dem Strafgesetzbuch noch aus dem Vereinsgesetz.

Das Oberverwaltungsgericht Bremen hatte zusätzlich erklärt, dass selbst die unterstellte Verneinung des Existenzrechts Israels, das in der Parole auch gemeint sein kann, nicht strafbar ist: „Äußerungen, mit denen das Existenzrecht Israels in Frage gestellt wird, erfüllen jedoch nicht zwangsläufig einen Straftatbestand.“

Das OVG Bremen hatte zwar im vorliegenden konkreten Fall in einem Eilantrag die Nutzung der Parole für eine angemeldete Versammlung verboten, aber klargestellt, dass sie weder als Billigung von Straftaten (§ 140 StGB) noch als öffentliche Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB) oder als Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 StGB) grundsätzlich strafbar ist. Dieses Gesetz verbietet Aufrufe zum Hass gegen die in Deutschland lebende jüdische Bevölkerung.

Das OVG Bremen verbot die Nutzung der Parole, weil inzwischen die Bundesregierung – im November 2023 – die Hamas als Terrororganisation verboten und die Parole als „Kennzeichen der Hamas“ eingestuft hatte. Die Parole verstoße daher gegen § 86 des Strafgesetzbuchs (StGB, Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen).

Hinsichtlich § 140 StGB urteilte das OVG jedoch, dass die Parole „From the River …“ nicht strafbar sei, „da sich ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang mit den Angriffen der Hamas auf Israel am 07.10.2023 durch die Veränderungen des Nahostkonfliktes nicht mehr sicher feststellen lasse“.

Richterin Ostkamp-Zhu begründete nun, dass selbst ein zeitlicher Zusammenhang, wie er in der ersten Instanz vom Duisburger Amtsrichter Haberland definiert und vom OVG im Umkehrschluss bestätigt wurde, nicht die Unterstellung rechtfertige, dass die Gewalt der Hamas gebilligt werde.

Der Freispruch durch das Landgericht Duisburg dürfte daher Auswirkungen auf weitere – laufende und kommende – gerichtliche Prozesse und Entscheidungen haben.

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