Auf einer Brückenbaustelle bei Horb im Neckartal, südlich von Stuttgart, sind am Dienstagmittag, den 20. Mai, drei Bauarbeiter aus großer Höhe in den Tod gestürzt. Als sie in der mannshohen, an einem Kran befestigten Käfiggondel zu ihrem Arbeitsplatz auf einem Brückenpfeiler hochgezogen wurden, riss das Stahlseil über ihnen, und die Gondel stürzte ab. Feuerwehr und Rettungsdienste konnten nur noch den Tod der drei Männer feststellen.
Die getöteten Männer, zwei polnische und ein deutscher Bauarbeiter im Alter zwischen 40 und 46 Jahren, gehörten zu der Baukolonne, die an einer der wichtigsten Großbaustellen Baden-Württembergs arbeitet. In einer Höhe von bis zu 90 Metern wird hier eine Autobrücke der B32 über den Neckar errichtet, um den Verkehr aus dem kleinen Städtchen Horb (Landkreis Freudenstadt), das im Tal liegt, herauszuhalten.
Während der Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) und der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) Beileidserklärungen abgaben und Krokodilstränen vergossen, drängte der verantwortliche Baukonzern Porr aus München, der schon für das Bahnprojekt Stuttgart 21 tätig war, rasch auf die Wiederaufnahme der Arbeit an der Baustelle. Schon ab Montag soll wieder gearbeitet werden, obwohl die Unfallursachen noch in keiner Weise geklärt sind.
In Frage steht in erster Linie der Zustand des gerissenen Trageseils, das die Gondel mit dem Kran verband. Solche Stahlseile sind normalerweise korrosionsempfindlich, bzw. nicht rostfrei, und müssen daher regelmäßig kontrolliert werden. Weiter ist auffällig, dass die Transportgondel nur an einem einzigen Seil befestigt war, und dass es keine weiteren Schutzvorrichtungen gab.
Der entsetzliche Unfall wirft nur ein besonders grelles Licht auf die Todesfalle Baustelle. Wie am 28. April, dem sogenannten Workers Memorial Day, bekannt wurde, sterben in Deutschland täglich drei bis vier Menschen in Folge eines Arbeitsunfalls. Bei der Bahn sind in den letzten vier Wochen vier Eisenbahner durch Arbeitsunfälle zu Tode gekommen. Und was die Bauarbeiter angeht: Sie sind von schweren und tödlichen Arbeitsunfällen besonders häufig betroffen. Wie die Berufsgenossenschaft Bau bekanntgab, gab es im Baugewerbe im letzten Jahr über 90.000 Arbeitsunfälle, und 78 Mal kam ein Bauarbeiter dabei zu Tode, das ist deutlich mehr als einer pro Woche.
Die Bauarbeiter, die in der Regel aus verschiedenen Ländern stammen und oft über Subunternehmer vermittelt werden, haben keinerlei Lobby, die sich um ihre Sicherheit kümmert.
Die IG Bau und der DGB beteiligen sich zwar seit einigen Jahren heuchlerisch am internationalen Workers Memorial Day, aber sie feiern diesen Gedenktag für die Opfer von Arbeitsunfällen nur einmal im Jahr und höchstens mit einer öffentlichen Stellungnahme und einem Gottesdienst für die Toten. Gleichzeitig öffnen sie der neuen Merz-Regierung, welche den Arbeitsschutz weiter aufweichen wird, Tür und Tor.
So hat Robert Feiger, der Bundesvorsitzende der Industriegewerkschaft Bauen Agrar Umwelt (IG BAU), ausdrücklich den Plan der Regierung begrüßt, eine Billion Euro im Wesentlichen für die Rüstung auszugeben. Mit den darin enthaltenen 500 Milliarden Euro für die Infrastruktur „kann es gelingen“, so Feigner, „kaputte Brücken, marode Bahngleise, holprige Straßen, sanierungsbedürftige Schulen, Kitas sowie Krankenhäuser, fehlende Energieinfrastruktur und vieles anderes mehr“ endlich anzugehen und mehr Planungssicherheit zu schaffen.
Auf die verheerenden Auswirkungen der Kriegspolitik ging Feiger mit keiner Silbe ein. In Wahrheit ist das Geld dafür vorgesehen, die Brücken, Straßen und Infrastruktur „kriegstüchtig“ zu machen, wie Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) fordert.
Die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) hat beschlossen, die Arbeiter selbst dazu aufzurufen, ihre Kenntnisse und Erfahrungen einzubringen und über unabhängige Aktionskomitees zu bündeln und zu teilen. Nur unabhängig von Politikern, Unternehmern und Gewerkschaftsbürokraten können die schrecklichen Arbeitsunfälle der letzten Zeit aufgeklärt werden. Das Ziel ist es, die Ursachen detailliert aufzudecken und gemeinsam aktiv zu werden, um die Missstände abzustellen!
Vor kurzem hat die IWA-RFC damit begonnen, einen Arbeitsunfall unabhängig zu untersuchen: den tödlichen Arbeitsunfall bei Stellantis, bei dem vor sechs Wochen Ronald Adams, ein 63-jähriger Mechaniker, beim Warten eines Reinigungsroboters zu Tode kam. In dieser ganzen Zeit haben weder das Management und die Arbeitsschutzbehörde von Michigan (MIOSHA) noch die Autogewerkschaft UAW irgendwelche Fakten ans Licht gebracht, um die Familie und die Öffentlichkeit über die Ursachen zu informieren.
Wie ein Autoarbeiter treffend kommentierte: „Da kommt ein Arbeiter ums Leben, und einen Tag später ist die Geschichte vergessen. Und die Gewerkschaftsführung ist Teil des Problems.“