Auf ihrem 12. Kongress, der vom 5. bis 7. Mai stattfand, kündigte die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ihren Beschluss an, sich aufzulösen und den bewaffneten Kampf zu beenden.
Die 1978 gegründete PKK begann 1984 einen bewaffneten Kampf mit dem Ziel, einen unabhängigen kurdischen Staat zu errichten, hat diese Forderung aber längst aufgegeben. Seit 1984 hat der Konflikt mit dem türkischen Staat Zehntausende von Menschen, zumeist Kurden, das Leben gekostet und Millionen von Menschen vertrieben.
Die Entscheidung folgt einem Prozess, der am 22. Oktober mit einem Aufruf von Devlet Bahçeli, dem Vorsitzenden der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), begann. Dieser ist ein Verbündeter von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Bahçeli versprach, dass Abdullah Öcalan, der inhaftierte Anführer der PKK, freigelassen werde und vor dem Parlament sprechen dürfe, wenn er die Auflösung der PKK ankündige.
Nach Verhandlungen mit einer Delegation der Partei für Gleichheit und Demokratie der Völker (DEM) forderte Öcalan am 27. Februar die PKK auf, ihre Waffen niederzulegen und sich aufzulösen. Indem er die „Integration in den Staat“ vorschlug, erklärte er den historischen und politischen Bankrott seiner Partei.
In einem Abschlussstatement des Kongresses erklärte der Kongressvorstand der PKK:
Der außerordentliche 12. Kongress der PKK kam zu der Einschätzung, dass der Kampf der PKK die Politik der Leugnung und Vernichtung gegenüber unserem Volk durchbrochen und die kurdische Frage an den Punkt geführt hat, an dem sie auf demokratischem Wege gelöst werden kann – und dass die PKK damit ihre historische Mission erfüllt hat. Auf dieser Grundlage beschloss der 12. PKK-Kongress, unter der Leitung und Durchführung durch Rêber Apo [ kurdisch für „Führer Apo“, Ehrentitel für Abdullah Öcalan], den organisatorischen Aufbau der PKK aufzulösen und den bewaffneten Kampf zu beenden – und damit die unter dem Namen PKK geführten Aktivitäten einzustellen.
In der Abschlusserklärung heißt es weiter:
„Rêber Apo berief sich dabei auf die Zeit vor dem Vertrag von Lausanne (1923) und der türkischen Verfassung von 1924 – also vor der systematischen Problematisierung kurdisch-türkischer Beziehungen. Er entwarf die Idee einer gemeinsamen Heimat, in der Kurd:innen und Türk:innen als gleichberechtigte Gründungsvölker einer Demokratischen Republik Türkei zusammenleben.
Die Geschichte der kurdischen Aufstände während der Republik, der tausendjährige Dialog zwischen beiden Völkern und nicht zuletzt 52 Jahre PKK-Führungserfahrung belegen, dass eine Lösung der kurdischen Frage nur auf Basis von gleichberechtigter Bürgerschaft und gemeinsamer Staatlichkeit möglich ist.“
Dies ist eine nationalistische Perspektive, die weder irgendetwas erklärt, noch einen Weg vorwärts bietet. Die so genannte „Gemeinsame Heimat“ und die „Gleiche Staatsbürgerschaft“ sind lediglich Wiederholungen der gescheiterten Idee, den bestehenden bürgerlichen Nationalstaat zu reformieren oder zu demokratisieren. In Wirklichkeit ist die türkische Bourgeoisie zur Errichtung eines wirklich demokratischen Regimes nicht weniger unfähig und ablehnend als 1923, als die türkische Republik gegründet wurde. Die gleiche strukturelle Ohnmacht und konterrevolutionäre Klassenposition gilt für die kurdische Bourgeoisie.
Wie Leo Trotzki, der zusammen mit Wladimir Lenin die Oktoberrevolution 1917 anführte, in seiner Theorie der permanenten Revolution erklärte, ist die Bourgeoisie in den rückständigen kapitalistischen Ländern angesichts der wachsenden Bedrohung durch die Arbeiterklasse nicht in der Lage, die grundlegenden Aufgaben der bürgerlich-demokratischen Revolution zu lösen. Zu diesen Aufgaben gehören auch die Sicherung der Unabhängigkeit vom Imperialismus oder die Errichtung eines demokratischen Regimes. Diese Aufgaben fallen der internationalen Arbeiterklasse zu, die als einzige gesellschaftliche Kraft in der Lage ist, die nationalen Grenzen und das kapitalistische System abzuschaffen, das sämtliche Unterdrückungs- und Verfolgungsverhältnisse reproduziert und der Herrschaft der Bourgeoisie unterstellt.
Heute sind die türkische und die kurdische Bourgeoisie durch tausend Fäden mit dem Imperialismus verbunden, und ihre Feindseligkeit gegenüber der Bedrohung durch eine sozialistische Revolution der Arbeiterklasse übertrifft die von vor einem Jahrhundert. Darüber hinaus wird die türkische Bourgeoisie, die vor einem Jahrhundert zu einer demokratischen Lösung der kurdischen Frage nicht fähig war, immer dazu neigen, die große kurdische Bevölkerung im Inneren des Landes als „separatistische Bedrohung“ wahrzunehmen. Dies gilt besonders unter den Bedingungen eines imperialistischen Umverteilungskriegs, der darauf abzielt, die Landkarten im Nahen Osten neu zu zeichnen. Kein Abkommen mit der kurdischen Bourgeoisie wird daran was ändern.
Arbeiter und Jugendliche werden das Ende eines blutigen Krieges begrüßen, der Tausende von Menschenleben gekostet hat, der dazu diente, die Arbeiterklasse nach ethnischen Gesichtspunkten zu spalten, und der vom Staat als Vorwand für die Unterdrückung demokratischer Rechte benutzt wurde. Es ist jedoch unerlässlich, den zugrunde liegenden Prozess aufzudecken, der die PKK dazu gebracht hat, sich selbst aufzulösen, und die Falschheit ihrer Behauptungen über „Demokratie und Frieden“ zu entlarven.
Die Behauptungen Ankaras und der PKK über Demokratie und Frieden kommen in einer Situation der Konsolidierung einer Präsidialdiktatur in der Türkei, die grundlegende demokratische Rechte beseitigt, und der Eskalation des Völkermords im Gazastreifen im Nahen Osten. Diese Trends, die durch die Rückkehr Trumps an die Macht in den USA noch beschleunigt wurden, sind globale Phänomene, die aus der wachsenden Krise des kapitalistischen Systems resultieren. Tausende von politischen Gefangenen sitzen derzeit im Gefängnis; in den letzten Monaten wurden gewählte Bürgermeister der DEM-Partei und der Republikanischen Volkspartei (CHP) entlassen und verhaftet, und Millionen von Menschen wurde das Recht verweigert, zu wählen und gewählt zu werden.
Ekrem İmamoğlu, der Bürgermeister von Istanbul und Präsidentschaftskandidat der CHP, ist das prominenteste Beispiel für eine politische Verhaftung inmitten der „Friedens- und Demokratie“-Verhandlungen zwischen Ankara und der PKK. Erdoğan selbst hatte angedeutet, dass Imamoğlu ins Visier genommen werde, obwohl die gegen ihn erhobenen Korruptionsvorwürfe keine Verhaftung erforderlich machten. Der Hauptgrund für seine Verhaftung war, dass Imamoğlu bei den letzten Präsidentschaftswahlen vor Erdoğan lag.
Das Regime missachtet grundlegende demokratische Rechte wie faire Gerichtsverfahren, aktives und passives Wahlrecht, die Meinungs- und Pressefreiheit sowie die Versammlungsfreiheit. Die Behauptung, dass ein solches Regime eine große Demokratisierung herbeiführen könnte, ist eine Täuschung.
Außerdem ist dasselbe Regime, das die reaktionären Interessen der türkischen Bourgeoisie vertritt, tief in die von den USA geführten imperialistischen Kriege im Nahen Osten verstrickt. Und darin liegt der Schlüssel zu dem Versuch, eine Einigung zwischen der Erdoğan-Regierung und der von Öcalan geführten PKK zu erzielen. Wie es in der Abschlusserklärung des PKK-Kongresses heißt: „Auch die aktuellen Entwicklungen im Nahen Osten, die Teil des Dritten Weltkriegs sind, machen eine Neuregelung der kurdisch-türkischen Beziehungen unausweichlich.“
Die Entscheidung der PKK, sich aufzulösen, fällt in eine Zeit, in der alle imperialistischen Mächte und kapitalistischen Staaten Kriege zur Neuaufteilung der Welt führen, die die beiden Weltkriege des 20. Jahrhundert noch in den Schatten stellen könnten.
Der Krieg der USA und der Nato gegen Russland in der Ukraine hat die ganze Welt an den Rand eines nuklearen Konflikts gebracht. Die Trump-Administration hat ein Programm der globalen Eroberung und Hegemonie verkündet, das sich sowohl gegen China als auch gegen ihre eigenen Verbündeten richtet. Der von den USA unterstützte israelische Völkermord im Gazastreifen ist dabei, die ethnische Säuberung zu vollenden und mehr als zwei Millionen Palästinenser zu vertreiben. Der Regimewechsel in Syrien birgt das Potenzial für einen neuen Konflikt, in dem die Besatzungsverbündeten Türkei und Israel gegeneinander und verschiedene andere Kräfte im Lande antreten.
In einem Kommentar im Middle East Eye zu Öcalans Anruf im Februar hieß es: „Viele Insider in Ankara glauben, dass die Motive der Regierung für die Aufnahme von Gesprächen mit Öcalan mit den eskalierenden regionalen Spannungen zwischen Israel und dem Iran zusammenhängen.“
Die USA benutzen Israel als Speerspitze in ihren imperialistischen Plänen zur Vorherrschaft im Nahen Osten, die sich insbesondere gegen den Iran und seine Verbündeten richten. Mit der Ausweitung der israelischen Besatzung in Syrien und den Luftangriffen auf die militärische Infrastruktur des neuen Regimes in Damaskus hat sich die Rivalität mit dem Verbündeten Türkei verschärft, der den Nordwesten Syriens besetzt und enge Beziehungen zum Regime von Hayat Tahrir al-Sham (HTS) unterhält.
Die Erklärung des israelischen Außenministers Gideon Sa'ar, die Kurden in Syrien seien „natürliche Verbündete“, hat in Ankara Besorgnis ausgelöst. Die Volksverteidigungseinheiten (YPG), eine mit den US-Streitkräften in Syrien verbündete kurdische nationalistische Gruppe, ist mit der Partei der Demokratischen Union (PYD), einer Schwesterorganisation der PKK, verbunden. Ankara versucht, die YPG-Kräfte, die eine de facto autonome Verwaltung in Syrien führen, zu einem Abkommen mit der HTS zu bringen, wodurch sie Teil der syrischen Armee werden und ihre autonome Struktur verlieren würden.
Diese geopolitische Situation ist der Hauptfaktor für das Abkommen zwischen Ankara und der PKK. Zu Beginn des Prozesses, im vergangenen Oktober, sagte Erdoğan: „Während die Landkarten mit Blut neu gezeichnet werden, während der Krieg, den Israel von Gaza bis zum Libanon führt, sich unseren Grenzen nähert, versuchen wir, unsere innere Front zu stärken.“
Eine Vereinbarung zwischen den türkischen und kurdischen Eliten, beides Verbündete der USA, erleichtert die imperialistischen Herrschaftspläne Washingtons. Das Hauptaugenmerk der Trump-Administration wird nun darauf liegen, unter der Führung des US-Imperialismus im Nahen Osten Israel und die Türkei zusammenzubringen, insbesondere gegen den Iran und seine Verbündeten.
Die türkischen und kurdischen Arbeiter und Jugendlichen müssen ihre eigene unabhängige, vereinte Strategie gegen die imperialistischen Mächte und ihre kapitalistischen Stellvertreter entwickeln, die die Bestrebungen der Völker nach Demokratie und Frieden für ihre reaktionären Ziele ausnutzen.
Die einzige Möglichkeit, die Unterdrückung des kurdischen Volkes zu beenden und seine demokratischen Rechte zu sichern, besteht darin, den Völkermord in Palästina und die imperialistischen Kriege im Nahen Osten zu beenden. Die Verbündeten der Arbeiter der Region in diesem Kampf für eine sozialistische Föderation des Nahen Ostens gegen den Imperialismus und die kapitalistischen Nationalstaaten sind die amerikanische, europäische und internationale Arbeiterklasse.