Präsidentschaftswahlen in Polen erschüttern Regierungslager

Der liberale polnische Präsidentschaftskandidat Rafal Trzaskowski (rechts) gibt Władysław Kosiniak-Kamysz, dem Vorsitzenden der Polnischen Volkspartei und stellvertretenden Ministerpräsidenten, die Hand, als sie am Montag, dem 19. Mai 2025, in Warschau, Polen, eintreffen, um mit Wählern zu sprechen. [AP Photo/Czarek Sokolowski]

Rund 29 Millionen Polen waren am Sonntag aufgerufen, ein neues Staatsoberhaupt zu wählen. Der amtierende Präsident Andrzej Duda durfte nach zwei Amtszeiten nicht erneut kandidieren. Wie prognostiziert, erreichte keiner der elf Kandidaten im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit, sodass es am 1. Juni zur Stichwahl kommt. Die Wahl gilt als historischer Schlüsselmoment für die Entwicklung Polens und Europas. Mit 67 Prozent wurde zudem die höchste Wahlbeteiligung bei einem ersten Wahlgang seit 1989 erreicht.

Der Erstplatzierte Rafał Trzaskowski errang überraschend nur 31,3 Prozent und damit deutlich weniger, als vor der Wahl prognostiziert. Der Warschauer Bürgermeister ist der Kandidat der rechten Bürgerplattform (PO) und damit der Regierungspartei von Donald Tusk.

Knapp hinter ihm und deutlich stärker als erwartet liegt Karol Nawrocki mit 29,5 Prozent. Der parteilose Historiker war Leiter des extrem rechten Instituts für Nationales Gedenken und ist, wie sein Vorgänger Duda, der Kandidat der rechtsextremen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Gemäß Wahlrecht werden sich Trzaskowski und Nawrocki am 1. Juni in der Stichwahl gegenüberstehen.

Dass Trzaskowski und die übrigen Kandidaten des Regierungslagers in der ersten Runde nur etwa 41 Prozent der Stimmen erhielten, ist ein herber Schlag für die Tusk-Regierung. Besonders schlecht schnitt Szymon Hołownia ab. Der ehemalige Journalist und Moderator hatte bei den Präsidentschaftswahlen 2020 als Newcomer überraschend den dritten Platz mit 13,9 Prozent erreicht. Seither stellt er mit seiner Partei „Polska 2050“ zusammen mit der Bauernpartei PSL einen der wichtigsten Koalitionspartner der Tusk-Regierung. Nun landete er mit nur 4,9 Prozent auf Platz fünf.

Auf Platz drei kam diesmal der 38-jährige Sławomir Mentzen. Mit 14,8 Prozent konnte der Kandidat der rechtsextremen Konfederacja den Stimmenanteil seiner Partei gegenüber der letzten Wahl etwa verdoppeln. Mentzen gehört zur Neuen Rechten, die jung, modern und als Anti-Establishment-Kraft auftritt. Seine Mischung aus faschistischen und wirtschaftslibertären Ansichten brachte er mit dem Slogan „Wir wollen keine Juden, Schwulen, Abtreibung, Steuern und EU“ auf den Punkt.

Auf dem vierten Platz folgte mit Grzegorz Braun ein weiterer offen faschistischer Kandidat, der 6,3 Prozent der Stimmen erhielt. Braun, der sich als Monarchist sieht und immer wieder durch physische Angriffe auffällt, hatte sich kurz vor der Wahl von der Konfederacja abgespalten. Beide rechtsextremen Kandidaten profitieren davon, dass das alte Establishment aus PO und PiS – inklusive des Staatsapparats – massiv diskreditiert ist. Auch ihre Ablehnung des Ukrainekriegs, die sie von einem reaktionären, nationalistischen Standpunkt aus formulieren, findet Resonanz.

Auch die Stimmenanteile von Adrian Zandberg (4,8 %) und Magdalena Biejat (4,2 %) von der pseudolinken Razem spiegeln in verzerrter Form die wachsende Opposition gegen den politischen Einheitskurs von PiS und PO wider. Es ist das beste Wahlergebnis nominell „linker“ Kandidaten bei Präsidentschaftswahlen seit 2010.

Biejat war zusammen mit vier Abgeordneten erst im vergangenen Jahr aus Razem ausgetreten, weil sie – gemeinsam mit der sozialdemokratischen Nowa Lewica – die Tusk-Regierung weiterhin unterstützen will. Zwar ist Razem nie in die Regierung eingetreten und stellt – im Gegensatz zur Nowa Lewica – keine Minister, hatte aber Tusk mitgewählt, unterstützt die Kriegspolitik und agierte als loyale Opposition.

Aufgrund der zunehmenden Diskreditierung der Tusk-Regierung hatte Zandberg, populärer Frontmann und Schüler des Pablisten Jacek Kuroń, zuletzt bewusst mehr Distanz gesucht und die gemeinsame Parlamentsfraktion Lewica verlassen.

Auch wenn Zandberg in erster Linie als linkes Überdruckventil dient, zeigen die rund eine Million Stimmen für ihn, dass viele Arbeiter und Studierende in Polen nach einer linken Alternative suchen. Zandberg war der einzige Kandidat, der sich klar für eine höhere Besteuerung von Unternehmen und Reichen, für soziale Umverteilung und gegen Flüchtlingshetze ausgesprochen hat.

Noch deutlicher wird die Abwendung insbesondere junger Wähler von den etablierten Parteien bei der Analyse der Stimmenverteilung nach Altersgruppen. Die Gruppe der 18- bis 29-Jährigen wies sowohl die höchste Wahlbeteiligung als auch die niedrigsten Ergebnisse für PO und PiS auf: Während beide Parteien nur auf 12 bzw. 10 Prozent kamen, erzielte Mentzen in dieser Altersgruppe 36 und Zandberg rund 20 Prozent der Stimmen.

Die junge Generation in Polen kennt nichts anderes als die Machtkämpfe zwischen PO und PiS – doch am eigenen Leib hat sie erlebt, dass es hinter der inszenierten Feindschaft kaum Unterschiede zwischen beiden Lagern gibt. Die soziale Ungleichheit ist explodiert, das Bildungs- und Gesundheitssystem wurde immer weiter abgebaut, und bezahlbarer Wohnraum ist kaum zu finden.

Um mit dieser Politik abzurechnen und eine eigene sozialistische Partei aufzubauen – eine polnische Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale – brauchen Arbeiter und Jugendliche ein klares Verständnis der Geschichte und der politischen Kräfte, mit denen sie konfrontiert sind. Die Wurzeln der heutigen Parteienlandschaft sowie der Karrieren von Tusk und Kaczyński reichen zur Gewerkschaft Solidarność zurück, die 1980 in einer Rebellion gegen die stalinistische Bürokratie entstand. Unter Lech Wałęsa wurde sie jedoch rasch zur Triebkraft der kapitalistischen Restauration in Polen.

PiS und PO entstanden 2001 aus dem Zerfall der Wahlaktion Solidarność und der Regierung von Jerzy Buzek, die Polens Weg in die NATO und EU einleitete. Die damit verbundene Privatisierungs- und Sparpolitik setzte dann Leszek Miller von der sozialdemokratischen SLD fort – bis auch diese Regierung 2005 scheiterte. Aus diesem politischen Trümmerhaufen gingen PO und PiS als dominierende Kräfte hervor. Nach einer kurzen PiS-Regierung unter Kaczyński folgten acht Jahre unter Tusk.

Tusk wechselte 2014 an die Spitze des Europäischen Rates. Bei der Parlamentswahl ein Jahr später verlor seine Koalition aus PO und PSL fast drei Millionen Stimmen. Die PiS gewann mit einem populären Sozialprogramm, das sich bewusst gegen Tusks unternehmerfreundliche Politik richtete: Frühverrentung, Steuererleichterungen für Geringverdiener und die Einführung eines Kindergeldes.

Als PiS-Kandidat Duda 2015 Präsident wurde, errang die Partei bald darauf auch die absolute Mehrheit im Sejm. Gestützt auf diese Mehrheit und das Präsidentenamt griff sie demokratische Rechte an, forcierte die Gleichschaltung von Justiz und Medien und schürte antieuropäischen Nationalismus – vor allem gegen Deutschland.

Die Weltwirtschaftskrise 2008 und die Eurokrise 2013 hatten zuvor bereits massive soziale Verwerfungen ausgelöst. Auf Grundlage eines zwischenzeitlich starken Wirtschaftswachstums betrieb PiS eine begrenzte Umverteilungspolitik – doch das war nicht von Dauer. Die faktische Abschaffung des Rechts auf Abtreibung, die reaktionäre Corona-Politik und die anschließende Wirtschaftskrise führten zum Niedergang der PiS. Bei der Wahl 2023 verlor sie über acht Prozent und wurde von einem breiten Bündnis unter Tusk aus der Regierung verdrängt.

Seitdem herrscht eine Pattsituation zwischen Präsident Duda und der Tusk-Regierung. Duda kann Gesetze blockieren, Amnestien gewähren und besitzt als Staatsoberhaupt den Oberbefehl über die Streitkräfte.

Doch bei aller Fraktionsrivalität besteht in den Grundfragen breite Einigkeit. Die Tusk-Regierung hat die bereits von PiS begonnene Aufrüstung intensiviert und ein Rüstungsbudget von fünf Prozent des BIP etabliert – das höchste in der EU. Das Ziel, die größte Landarmee Europas aufzubauen und die gesamte Gesellschaft zu militarisieren, einschließlich Schießunterricht in Schulen, ist parteiübergreifender Konsens.

Duda segnete nicht nur das Rüstungsbudget ab, sondern auch verschärfte Angriffe auf Flüchtlinge und die faktische Abschaffung des Asylrechts. Nur wenige Tage vor der Wahl kündigte Tusk an, zusätzlich 13 Milliarden Złoty in Polizei, Feuerwehr, Grenzschutz und Staatssicherheit zu investieren. „Sicherheit besteht nicht aus Worten, sondern aus Taten und Geld“, erklärte er.

Selbst die begrenzte Liberalisierung des Abtreibungsrechts scheiterte nicht am Veto Dudas, sondern am Widerstand der extrem rechten Koalitionspartner Tusks – insbesondere der Bauernpartei PSL.

Was Tusk wirklich von der Unterstützung des Präsidenten abhängig macht, sind die geplanten Angriffe auf die Arbeiterklasse. Um die Rüstungsausgaben zu finanzieren, wird die Regierung gezwungen sein, die ohnehin dürftigen Sozialprogramme der PiS-Ära zu kürzen. Parallel dazu wird es Steuererleichterungen für Unternehmer geben. Anfang Mai blockierte Duda eine von der Regierung beschlossene Senkung der Krankenversicherungsbeiträge für Selbstständige – ein Kurs, den Trzaskowski im Wahlkampf offen unterstützte: Mit ihm, so erklärte er, werde es „solche Blockaden nicht geben“.

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