Am Freitag um Mitternacht traten rund 450 Lokführer bei der Verkehrsgesellschaft New Jersey Transit (NJT) in den Streik und legten damit das drittgrößte Verkehrssystem der USA lahm. Ihr Ausstand ist ein Zeichen für den wachsenden Klassenkampf in den Vereinigten Staaten.
NJT betreibt Busse und Nahverkehrszüge, die jeden Tag fast eine Million Menschen in der Metropolregion New York befördern. Der Streik hat die wirtschaftliche Aktivität in der reichsten Stadt der Welt und dem Zentrum des internationalen Finanzwesens in erheblichem Maße beeinträchtigt.
Der letzte Streik bei NJT fand im Jahr 1983 statt und dauerte etwa drei Wochen. Der jetzige Ausstand ist Teil einer wachsenden Welle von Arbeitskämpfen im gesamten Nordosten. Dazu gehören der Streik im Butler Hospital in Providence (Rhode Island), der Streik von 3.000 Arbeitern beim Hersteller für Flugzeugtriebwerke Pratt & Whitney in Connecticut und potenzielle Streiks in Pflegeheimen in Connecticut und Upstate New York.
Die Lokführer, die in der Gewerkschaft Brotherhood of Locomotive Engineers organisiert sind, fordern die Angleichung ihrer Löhne an die der Lokführer anderer Nahverkehrssysteme in der Region. Sie arbeiten seit 2019 ohne vertragliche Regelung und haben in dieser Zeit keine Lohnerhöhung erhalten.
NJT-Lokführer verdienen etwa 16 Dollar weniger die Stunde als ihre Kollegen bei Amtrak und 10 Dollar weniger als die Beschäftigten bei dem Verkehrssystem Port Authority Trans-Hudson (PATH), in dem New York und New Jersey verbunden sind. Ihre Löhne liegen auch unter denen ihrer Kollegen bei Long Island Rail Road und Metro-North, den anderen großen Nahverkehrsbetrieben in der Metropolregion New York.
Eine vorläufige Vereinbarung, die diese Lohnungleichheit nicht beseitigt hätte, wurde von den Arbeitern mit überwältigender Mehrheit abgelehnt. Laut der Brotherhood of Locomotive Engineers and Trainmen (BLET) hätte die Vereinbarung dazu geführt, dass die Lokführer 20 Prozent weniger verdienen als ihre Kollegen bei vergleichbaren Eisenbahngesellschaften.
„Ich bin für die Arbeiterklasse“
Ein Lokführer erklärte gegenüber der WSWS: „Mehr als 30 Lokführer haben das Unternehmen wegen der angebotenen Löhne verlassen. Wir fordern nicht einmal eine fünfprozentige Erhöhung, und sie jammern, dass sie pleite sind. Wir wollen auf sie zugehen, aber sie weigern sich. Sie sagen, wenn sie uns 400 Lokführern [anständige Löhne] geben, wird das Unternehmen, das milliardenschwer ist, bankrott gehen.“
Er fuhr fort: „Es wäre gut, wenn wir uns mit anderen Arbeitern zusammentun könnten. Die Long Island Rail Road wird auch von der BLET vertreten, sie unterliegen den gleichen Gesetzen, die ihr Streikrecht einschränken. Bei der LIRR stand der Vertrag vor drei Jahren zur Verlängerung an, aber nicht lange genug, um in den Streik zu treten, bevor alle Streikvoraussetzungen erfüllt waren – wie bei uns.“
Trotz der Auswirkungen auf die Pendler und der Versuche der Leitmedien, die öffentliche Meinung gegen den Streik aufzubringen, erhielt er große Unterstützung von Arbeitern in der gesamten Region.
Ein Arbeiter erklärte vor der Penn Station in Manhattan gegenüber der WSWS: „Meine Gruppe wollte heute Abend zum Shakira-Konzert in New Jersey, aber das werden wir jetzt nicht machen. Ich bin Pförtner und Gewerkschaftsmitglied, und wir unterstützen den Streik.“
„Ich bin für die Arbeiterklasse“, erklärte er weiter. „Ich mache die Unternehmensvorstände verantwortlich... Egal, was in der Region passiert, alles sickert nach New York City durch, wie das, was am Flughafen Newark passiert ist.“ Dort wurde der Flugverkehr durch Ausfälle des veralteten Flugsicherungssystems beeinträchtigt.
Er fuhr fort: „Die Flughäfen und Züge werden nicht in Stand gehalten. Seit Corona wird den Kindern der Unterricht weggenommen. Sie werden die jetzigen Berufstätigen nicht ersetzen können. Restaurants, 7-11-Fillialen und Supermärkte werden geschlossen. Die Regale sind leer und sie bekommen keine Arbeiter mehr. Sie verfolgen sogar Migranten, die hier seit sieben Jahren leben und alles gemacht haben, was man tun muss, um Staatsbürger zu werden.“
Cyndi, eine Textilarbeiterin, erklärte: „New Jersey Transit behauptet, die Eisenbahner würden zu viel fordern, aber der Preis für mein Monatsticket ist von 176 Dollar vor drei Jahren auf 190 gestiegen. Jetzt berichten die Medien auch über die Probleme der Fluglotsen. Es ist für alles mögliche Geld da, aber nicht für uns.“
Über die politische Lage fügte sie hinzu: „Ich zahle seit 1985 für [die staatliche Rentenversicherung] Social Security und Trump will das abschaffen. Trump gehört politisch vernichtet, und die Demokraten laufen mit eingezogenem Schwanz herum.“
Enorme Ungleichheit
Das Budget von NJT für 2025 ist abhängig von staatlicher Unterstützung in Höhe von einer Dreiviertelmilliarde Dollar, die aber nächstes Jahr auslaufen soll. Derzeit hat das Unternehmen ein Defizit von 767 Millionen Dollar.
Viele öffentliche Verkehrsgesellschaften im ganzen Land sind mit ähnlichen Finanzierungskrisen konfrontiert. So verzeichnet beispielsweise die Chicago Transit Authority ein Defizit von 730 Millionen Dollar und hat angedroht, ihren Etat um bis zu 40 Prozent zu kürzen.
Doch die Behauptung, für den öffentlichen Nahverkehr sei „kein Geld“ da, ist absurd – vor allem in New York City. Hier leben mehr Milliardäre als in irgendeiner anderen Stadt der Welt. Gleichzeitig hat die große Masse der New Yorker Mühe, das Geld für Grundbedürfnisse wie eine Wohnung aufzubringen.
New York ist ein Musterbeispiel für die extreme Ungleichheit, die die amerikanische Gesellschaft kennzeichnet und eine der Hauptursachen für die Hinwendung des politischen Systems zur Diktatur ist. Die New Yorker Immobilien-Unterwelt war der Ort, an dem Donald Trump erstmals zur Bekanntheit aufstieg. Jetzt errichtet seine Regierung eine oligarchische Diktatur, entlässt Bundesbeschäftigte und greift die Arbeiter durch steigende Preise und Massenentlassungen an, die durch seine Zollpolitik verursacht wurden.
Der Streik unterstreicht die Notwendigkeit einer umfassenden Offensive der Arbeiterklasse gegen die kapitalistische herrschende Elite. Der Norden von New Jersey ist zu einem wichtigen Brennpunkt in diesem sich entwickelnden Klassenkampf geworden – nicht nur wegen des Bahnstreiks, sondern auch wegen der jüngsten Beinahe-Katastrophen, die durch den Zusammenbruch der Flugsicherung am internationalen Flughafen Newark verursacht wurden, sowie der Verhaftung des Bürgermeisters von Newark beim Besuch eines Gefängnisses der Einwanderungsbehörde ICE.
Die Gewerkschaftsbürokratie ist äußerst nervös angesichts der Tatsache, dass sich der Streik ausbreiten könnte. Sie hat an nur zwei Standorten im gesamten Verkehrssystem Streikposten aufgestellt: an der Penn Station in Manhattan und an einem Bahnhof in Atlantic City. An beiden Orten ist der Posten nur von einer Handvoll Arbeiter besetzt.
Das ist ein bewusster Versuch, die Lokführer von ihren Kollegen und den Pendlern zu trennen und zu verhindern, dass sie größere Unterstützung in der Öffentlichkeit gewinnen, die sie zweifellos auch erhalten würden. Die Gewerkschaftsführung, die auf der Seite des Unternehmens steht, bereitet sich darauf vor, den Streik bei der ersten Gelegenheit zu beenden, bevor die Arbeiter ihre Forderungen durchsetzen können.
Unterdessen haben die anderen 14 Gewerkschaften bei NJT Arbeitsverträge mit Bedingungen akzeptiert, die unter den Forderungen der Lokführer liegen. Das ist ein eindeutiger Versuch, den Streik zu isolieren und zu schwächen.
Die BLET gehört zur International Brotherhood of Teamsters, eine der großen Gewerkschaften, die sich hinter Trumps rechte „America First“-Politik gestellt haben und die betrügerische Behauptung verbreiten, „amerikanische“ Arbeitsplätze ließen sich durch Handelskrieg schützen.
Doch der Streik bei NJT entlarvt diese Behauptung als Lüge. Nur wenige Kilometer entfernt – in Manhattan – fließen an der Wall Street Billionen, um spekulative und oft kriminelle Geschäfte zu finanzieren. Dieser Reichtum wurde durch die weltweite Ausbeutung von Arbeitskraft gewonnen. Gleichzeitig sieht sich die Arbeiterklasse von New York, die von allen Kontinenten stammt, mit wachsender Not konfrontiert und kocht vor Wut.
Schlichtung und der Railway Labor Act
Der Streik am Freitag begann, nachdem eine staatliche Schlichtung in Washington Anfang der Woche auch in letzter Minute keine Einigung erzielen konnte. Für Sonntagmorgen war die Fortsetzung des Schlichtungsverfahrens angesetzt.
Ironischerweise hat die Trump-Regierung den Federal Mediation and Conciliation Service abgeschafft, eine wichtige Schlichtungsbehörde, deren traditionelle Aufgabe darin bestand, Streiks zu verhindern. Es ist unklar, ob ihre Abwesenheit bei den Verhandlungen in der letzten Woche deren Ergebnis beeinflusst hat. Trumps Kürzungen dienen zwar dem übergeordneten Ziel einer autoritären Herrschaft, doch die „Schlichtung“ selbst ist im undemokratischen Railway Labor Act vorgeschrieben, einem Gesetz, das umfangreiche Einschränkungen des Streikrechts der Eisenbahner beinhaltet.
Der oben erwähnte Lokführer erklärte gegenüber der WSWS: „Wir waren nicht glücklich darüber, dass sich die Regierung bei den Güterzügen einmischt. Die Arbeiter sollten ihre Verträge frei aushandeln dürfen.“
Die berüchtigte Anwendung des Gesetzes Ende 2022 diente dazu, einen landesweiten Streik von 100.000 Arbeitern des Güterverkehrs der Klasse 1 zu verhindern. Diese hatten zuvor einen Arbeitsvertrag, der enorme Zugeständnisse der Arbeiter beinhaltet hätte und durch Vermittlung der Biden-Regierung zustande gekommen war, mit überwältigender Mehrheit abgelehnt.
Dieser Kampf nahm die Form einer Rebellion der Arbeiter gegen die Gewerkschaftsbürokratie an, die den Streik bewusst bis nach den Zwischenwahlen hinauszögerte und dem Kongress damit Zeit verschaffte, den Streik in einer parteiübergreifenden Intervention zu verbieten. Im Verlauf dieses Kampfs gründeten die Arbeiter das Railroad Workers Rank-and-File Committee (Aktionskomitee der Eisenbahnarbeiter), um Widerstand zu organisieren und ihre unabhängigen Interessen durchzusetzen.
Es ist gut möglich, dass der Kongress auch versuchen wird, den Streik bei NJT zu verbieten, wie bereits zuvor beim landesweiten Eisenbahnerstreik 2022. Dies unterstreicht, dass Arbeiter in New Jersey, New York und im ganzen Land die Lokführer unbedingt verteidigen, Unterstützung für ihren Kampf mobilisieren und sich auf eine breitere Mobilisierung der Arbeiterklasse vorbereiten müssen.
Der Aufbau von Aktionskomitees ist notwendig, um selbst die Kontrolle über den Streik zu übernehmen, die von der Gewerkschaftsbürokratie aufgezwungene Isolation zu durchbrechen und Eisenbahner, Verkehrsarbeiter und die Arbeiterklasse der ganzen Region zu erreichen. In Arbeitervierteln und Betrieben sollten Solidaritätskomitees gegründet werden, um Unterstützung zu mobilisieren und gemeinsame Aktionen zu koordinieren.
Der Streik bei NJT kann und muss zur Speerspitze einer breiteren Bewegung der Arbeiterklasse gegen die Kürzungspolitik, Ungleichheit und die sich entwickelnde Diktatur der Oligarchie gemacht werden.