Die Ermordung des türkischen Arbeiters Erol Eğrek verlangt nach einer unabhängigen Untersuchung

Erol Eğrek starb am Freitag den 9. Mai, nachdem er vor dem Hauptgebäude der Çalık Holding in Şişli, Istanbul, von Leibwächtern und Sicherheitsleuten verprügelt worden war. Er war dorthin gekommen, um seine Abfindung einzufordern, die ihm das Unternehmen trotz Gerichtsurteilen seit zehn Jahren vorenthält.

Ein Bild von Erol Eğrek, das von seinem Neffen geteilt wurde [Photo by X / @alvzra2108]

Eğreks Ermordung ist ein Verbrechen gegen die gesamte Arbeiterklasse und eine Anklage gegen das kapitalistische System. Sein Tod darf nicht nur auf den Hass und die Feindschaft des Unternehmens gegen einen einzelnen Arbeiter zurückgeführt werden, sondern bestätigt, dass das Leben von Arbeitern in den Augen der herrschenden Klasse keinen Wert hat.

Die Arbeiter müssen eine unabhängige Untersuchung dieses Verbrechens und Rechenschaft fordern – nicht nur von den Sicherheitsleuten, sondern auch von einem Unternehmen mit engen Beziehungen zur Regierung. Dies muss Teil eines umfassenderen Kampfs sein, um für Gerechtigkeit für Tausende von Arbeitern zu sorgen, die jedes Jahr am Arbeitsplatz ermordet werden oder in Folge arbeitsbedingter Ursachen sterben, und um solche Todesfälle weltweit zu verhindern.

Eğrek arbeitete von 2004 bis 2009 als Elektrotechniker in einem Textilwerk von Çalık Holding in Turkmenistan. Im Jahr 2009 wurde er angesichts der globalen Finanzkrise ohne Abfindung entlassen. Im Unterschied zu anderen Arbeitern, die im gleichen Zeitraum entlassen wurden, aber vom Unternehmen durch das zuständige Ministerium in Turkmenistan bezahlt wurden, erhielt Eğrek nichts. Çalık Holding forderte ihn auf, seine Forderungen an das Textilindustrieministerium in Turkmenistan zu stellen und berief sich dabei auf die „Verjährungsfrist“.

Im Jahr 2010 stellte Eğrek Anträge beim Ministerium, bei Regierungsvertretern und beim Präsidenten von Turkmenistan. Nachdem er keine Antwort erhielt, verklagte er Çalık Holding auf Abfindung.

Eğrek gewann alle Prozesse gegen das Unternehmen, erhielt aber auch nach zehn Jahren keine Abfindung. Obwohl er sich bereits in einer schwierigen finanziellen Lage befand, wurde er von Ahmet Çalık, dem Besitzer von Çalık Holding, wegen „Verleumdung“ verklagt, aber vom Gericht freigesprochen.

Am 9. Mai kam Eğrek zum Gebäude der Çalık Holding, um über seine Abfindung zu diskutieren, wurde aber nicht eingelassen. Es kam zu Streitereien zwischen ihm und den Sicherheitsleuten, die vor dem Gebäude warteten. Er nahm ein Video auf, in dem er erklärte, wie er betrogen wird, und teilte es in den sozialen Medien. Darin erklärte er: „Ich habe meine Abfindung seit zehn Jahren nicht erhalten. Ich habe für meine Rechte gekämpft. Ich verlange nur, dass sie mir geben, was mir zusteht.“

Eğrek hielt sich seine Pistole an den eigenen Kopf. Daraufhin wurde er von den Wachleuten der Holdinggesellschaft angegriffen. Die Wachleute, angeblich etwa zehn Personen, nahmen Eğrek die Waffe weg und schlugen ihn mehrere Minuten lang. Eğrek kam ins Krankenhaus und wurde später für tot erklärt.

Insgesamt sechs Personen, darunter ein Polizeibeamter, wurden im Zusammenhang mit dem Vorfall verhaftet. Sie wurden am Abend einem Richter vorgeführt und wegen „vorsätzlicher Tötung“ angeklagt. Vier blieben in Haft, zwei weitere Verdächtige wurden unter richterlicher Aufsicht freigelassen.

Die Staatsanwaltschaft erklärte im Einlieferungsschreiben, die Sicherheitsleute des Unternehmens hätten Erol Eğrek mit dem Griff der Pistole, die sie ihm abgenommen hatten, auf Kopf und Rücken geschlagen. Danach brachten sie ihn in den Korridor neben dem Sicherheitsraum der Holdinggesellschaft und legten ihm hinter dem Rücken Handschellen an. Er wurde von der Polizei ins Krankenhaus gebracht, um einen Bericht über den Angriff zu erhalten, wo er zusammenbrach.

Eğreks Familie erklärte, sie hätten den Vorfall vertuschen wollen, indem sie als Todesursache „Herzinfarkt“ angaben, obwohl er zu Tode geprügelt wurde.

Çalık Holding hat unter der Regierung und der Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) von Präsident Recep Tayyip Erdoğan seit 2002 ein schnelles Wachstum erlebt. Den Finanz- und Jahresberichten zufolge hat Çalık Holding regelmäßig Investitionsanreize aus öffentlichen Quellen erhalten. Zwischen 2015 und 2023 waren das umgerechnet insgesamt 95,68 Millionen Dollar. Der aktuelle Geldwert beläuft sich auf schätzungsweise 3,78 Milliarden türkische Lira.

Ahmet Çalık liegt mit einem Vermögen von 1,5 Milliarden Dollar auf der Forbes-Liste für 2025 an 25. Stelle der türkischen Milliardäre. Forbes schrieb: „Der Auftragswert der Çalık Holding für Bau- und Energieprojekte beträgt etwa sieben Milliarden Dollar.“

Çalık Holding ist in vielen Bereichen rasch gewachsen, u.a. in der Energie-, Telekommunikations-, Finanz-, Textil-, Bau- und Medienbranche. Dieses Wachstum beruht auf Privatisierungen, Bauausschreibungen, Abkommen mit dem Ausland und Krediten zu günstigen Bedingungen. Berichten zufolge soll sie jedoch zwischen 2019 und 2024 keine Steuern an den Staat gezahlt haben.

Die Anreize, Steuererleichterungen und das Wachstum des Unternehmens sind beispielhaft für die Umwandlung der türkischen Wirtschaft in eine oligarchische Struktur und Kleptokratie innerhalb der letzten Jahrzehnte, wie sie in vielen anderen Ländern stattgefunden hat. Der Eigentümer des Unternehmens, den Erdoğan als „unseren Çalık“ bezeichnet, hat enge Beziehungen zur Regierung.

Letztes Jahr geriet Çalık Holding wegen eines Massakers an Arbeitern während einer Naturkatastrophe ins Rampenlicht. Im Çöpler-Bergwerk von Anagold, das sich im Besitz des amerikanisch-kanadischen Unternehmens SRR Mining befindet, kam es im Distrikt İliç in der Provinz Erzincan zu einem massiven Erdrutsch. Neun Arbeiter kamen ums Leben und zehn Millionen Kubikmeter Abraum, der viele giftige Substanzen wie Zyanid und Schwefelsäure enthielt, wurden freigesetzt. Der Juniorpartner des kanadischen Unternehmens (20 Prozent), Lidya Madencilik, der es dem kanadischen Unternehmen erleichterte, rechtliche Verfahren zu umgehen, war im Besitz der Çalık Holding.

Wie die WSWS berichtete:

Die International Labour Organisation (ILO) schätzt, dass weltweit jedes Jahr fast 3 Millionen Menschen an arbeitsbedingten Verletzungen und Krankheiten sterben. Etwa 330.000 dieser Todesfälle sind verletzungsbedingt, und mehr als 2,6 Millionen werden durch chronische Berufskrankheiten wie Krebs, Kreislaufversagen und Atemwegserkrankungen verursacht. Die Zahl der Todesopfer ist seit 2000 weltweit um mehr als 12 Prozent gestiegen. Die Millionen, die in den letzten fünf Jahren Covid-19 zum Opfer fielen, sind dabei gar nicht eingerechnet.

Arbeiter dürfen diese Todesfälle und gefährlichen Arbeitsbedingungen nicht tolerieren. Sie müssen ihr eigenes Leben und das ihrer Freunde verteidigen. Doch sie dürfen diesen Kampf nicht der Justiz überlassen. Nach dem Grubenunglück in Soma im Jahr 2014, bei dem 301 Bergarbeiter ums Leben kamen, verbrachte der Besitzer des verantwortlichen Unternehmens für jeden toten Arbeiter nur acht Tage im Gefängnis. Während des Prozesses wurden sowohl die Staatsanwälte als auch die Richter ausgetauscht, und dennoch wurde keine offiziell Verantwortlicher verurteilt.

Die Arbeiter dürfen den Gewerkschaftsbürokratien nicht trauen. Sie haben jahrzehntelang mit der Regierung und den Konzernen zusammengearbeitet, um die Arbeits- und Sicherheitsbedingungen zu verschlechtern. Die Arbeiter brauchen ihre eigenen unabhängigen Komitees und Untersuchungen, um Missstände anzufechten und Arbeitsunfälle zu untersuchen.

Die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) hat zu einer unabhängigen Untersuchung des Todes des 63-jährigen Mechanikers Ronald Adams Sr. im Stellantis-Motorenwerk in Dundee im Südosten Michigans am 7. April 2025 aufgerufen.

Die IWA-RFC hat die Rolle der United Auto Workers (UAW) als Kollaborateure entlarvt und folgende Erklärung herausgegeben:

Es darf keine weitere Vertuschung geben. Eine von Stellantis, dem Apparat der United Auto Workers (UAW) und den bundesstaatlichen Behörden unabhängige Untersuchung ist von entscheidender Bedeutung, um die Wahrheit ans Licht zu bringen, systemische Verstöße gegen Sicherheitsvorschriften aufzudecken und weitere Todesfälle zu verhindern. Die Untersuchung muss Aussagen von Autoarbeitern in Dundee und anderen Werken, Sicherheitsexperten und anderen mit einschlägigem Wissen einholen. Eine derartige Untersuchung durch die Arbeiter ist entscheidend, um die Grundlage für echte Kontrolle der Sicherheits- und Produktionsbedingungen in den Fabriken durch die Belegschaft zu schaffen.

Diese Untersuchung, die in den USA ins Leben gerufen wurde, muss in der Türkei und der ganzen Welt aufgegriffen und durch eine unabhängige Untersuchung von Eğreks Ermordung erweitert werden. Wir rufen alle Leserinnen und Leser auf: Sendet Unterstützungsbotschaften für diese Kampagne und setzt euch mit uns in Verbindung, um Aktionskomitees in euren Betrieben aufzubauen.

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