Die Abgeordneten der AfD stellen im Bundestag die größte Oppositionsfraktion und sitzen nicht auf der Regierungsbank. Aber politisch geben sie dort längst den Ton an. Das demonstrierte der neue Innenminister Alexander Dobrindt (CSU), als er am Freitag sein Programm für die kommenden vier Jahre vorstellte. Er konzentrierte sich in seiner zwölfminütigen, von zahlreichen Zwischenrufen unterbrochenen Rede auf zwei Schwerpunkte: Die Abschottung der Grenzen gegen Flüchtlinge und Migranten und den Aufbau eines Polizeistaats.
Dobrindt, der seit seiner Zeit als CSU-Generalsekretär als „Mann fürs Grobe“ gilt, hat offenbar das Vorgehen von US-Präsident Donald Trump genau studiert. Auch Trump geht mit äußerster Brutalität gegen Flüchtlinge vor und benutzt dies als Hebel, um geltendes Recht zu brechen, demokratische Grundrechte abzuschaffen und die Sicherheitskräfte mit diktatorischen Vollmachten auszustatten. Der Angriff auf Flüchtlinge dient dabei als Speerspitze für die Unterdrückung jeder sozialen und politischen Opposition und die Errichtung eines autoritären Regimes.
Dobrindt begann mit einer Lobeshymne auf die Polizei, die in seiner bornierten Weltsicht den Inbegriff von Sicherheit und dem, was er „Demokratie“ nennt, verkörpert. „Die Polizei, unsere Sicherheitsbehörden,“ sagte er, „sie brauchen bestmögliche Ausstattung und entsprechende Befugnisse. Es geht um maximale Unterstützung und Rückendeckung durch die Politik und nicht um Misstrauen.“
Die Maßnahmen, die er versprach, um „den Werkzeugkasten von Polizei und Nachrichtendiensten deutlich zu erweitern“, waren in der Vergangenheit wiederholt an öffentlichem Widerstand und Gerichtsurteilen gescheitert.
So soll die Speicherung von IP-Adressen wieder erlaubt werden. Das sei „oft der einzige Ermittlungsansatz“, um Straftaten aufzudecken, behauptete Dobrindt. 2017 hatte der Europäische Gerichtshof eine solche Vorratsdatenspeicherung, die die Regierung von Angela Merkel beschlossen hatte, für europarechtswidrig erklärt.
Neben dem Bundeskriminalamt und dem Bundesnachrichtendienst soll in Zukunft auch die Bundespolizei die sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) nutzen dürfen. Das heißt, sie darf heimlich Spähsoftware (Trojaner) auf Mobiltelefonen und Computern installieren, um Nachrichten, die über WhatsApp, Telegram und andere Dienste verschickt werden, vor oder nach der Ver- und Entschlüsselung lesen zu können.
Dobrindt will die Befugnisse der Nachrichtendienste generell ausweiten und „einen effizienten und effektiven Datenaustausch zwischen den Diensten gewährleisten“. Um große Datenmengen effizienter auszuwerten, sollen die Behörden befähigt werden, künstliche Intelligenz einzusetzen.
Dobrindt will auch dafür sorgen, dass Gewalt und Machtmissbrauch der Polizei, die schon jetzt kaum gerichtlich zu verfolgen sind, noch schwerer nachgewiesen werden können. Polizei und Sicherheitsbehörden seien bisher „zu oft unter Generalverdacht gestellt“ worden, kritisierte er. Die neue Bundesregierung werde Schluss machen mit Kennzeichnungspflichten, Kontrollquittungen und Beschwerdestellen. Damit öffnet er polizeilicher Willkür Tür und Tor.
Das bedingungslose Vertrauen in „unsere Sicherheitsbehörden“ dient laut Dobrindt dazu, „unsere Demokratie zu erhalten und zu stärken“. Zu diesem Zweck will er sich allen entschlossen entgegenstellen, „egal aus welcher Richtung sie kommen“, die die bestehende Ordnung kritisieren oder infrage stellen.
An erster Stelle nennt er den Kampf gegen „Antisemitismus“ und „Israelhass“. Gemeint sind alle, die den Völkermord an den Palästinensern ablehnen, der von der neuen Regierung ebenso wie von ihrer Vorgängerin bedingungslos unterstützt wird. An zweiter Stelle folgt der Kampf gegen „Islamismus, Linksextremismus und Rechtsextremismus“. „Egal ob jemand ein Königreich, ein Kalifat, den Faschismus oder den Kommunismus in Deutschland ausrufen will: Wir gehen entschlossen dagegen vor,“ so Dobrindt.
Was vom entschlossenen Vorgehen gegen den Rechtsextremismus zu halten ist, zeigt die Tatsache, dass Dobrindt die Law-and-Order- und die Flüchtlingspolitik der rechtsextremen AfD übernommen hat. Er behauptete allen Ernstes, die AfD habe ihre Stimmenzahl verdoppelt, weil sich die Vorgängerregierung geweigert habe, die notwendigen Maßnahmen zum Zurückdrängen der Migration zu ergreifen. Nach dieser Logik bekämpft man den Rechtsextremismus, indem man sein Programm verwirklicht.
Das hatte bereits die bisherige Regierung getan, was Dobrindt auch anerkannte, indem er seiner Vorgängerin Nancy Faeser (SDP) herzlich dankte. Doch Dobrindt geht noch weiter als Faeser. Bereits am Tag seiner Amtsübernahme wies er die Bundespolizei an, die Kontrollen an den deutschen Außengrenzen zu verschärfen und dabei auch Asylsuchende zurückzuweisen.
Die verschärften Grenzkontrollen verstoßen gegen europäisches Recht. Dieses schreibt auch vor, Asylsuchende ins Land zu lassen, um zu prüfen, welcher Staat für das Verfahren zuständig ist. Die deutsche Regierung beruft sich deshalb auf Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV), der es erlaubt, für die „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit“ europäische Regeln ausnahmsweise auszusetzen.
Das Vorgehen erinnert an Trump, der den Zustrom von Flüchtlingen aus Mexiko zu einer „fremden Invasion“ erklärt hat, um das Militär gegen sie einsetzen zu können. Flüchtlinge gefährden weder die „öffentliche Ordnung“ noch die „innere Sicherheit“. Die Zahl der Asylanträge geht kontinuierlich zurück. Im April waren es noch 9100, im Vergleich zu 17.500 im selben Monat des Vorjahrs. Im Rekordjahr 2016 hatten im Monatsdurchschnitt 60.000 Menschen einen Asylantrag gestellt.
Die verschärften Grenzkontrollen führen zudem zu langen Staus an den Grenzen, was für die europäischen Lieferketten, auf die ganze Industrien angewiesen sind, und für die mehr als 400.000 Grenzgänger, die regelmäßig auf dem Weg zur Arbeit die Grenzen überqueren, schwerwiegende Folgen hat.
Die Schweiz, Österreich und Polen haben sich über die Maßnahmen beschwert. Vor allem der polnische Regierungschef Tusk fürchtet, dass die Zurückweisung von Flüchtlingen an der deutsch-polnischen Grenze bei der bevorstehenden Präsidentenwahl die rechtsnationalistische PiS stärken wird. Am Montag weigerte sich der polnische Grenzschutz in Guben, zwei an der Grenze aufgegriffene afghanische Flüchtlinge zurückzunehmen – was als Testfall für Dobrindts Politik gilt.
Doch der neuen Regierung ist das Schüren von Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus wichtiger als die ökonomischen und politischen Folgen ihrer Abschottungspolitik. CSU-Chef Söder hatte bereits im Sommer letzten Jahres eine „grundlegende Migrationswende“ verlangt. Dobrindt trat im Wahlkampf für einen „Knallhartkurs“ in der Migrationspolitik ein.
In seiner Bundestagsrede knüpfte er daran an. „Die Bürger erwarten von uns einen Politikwechsel“, behauptete er. Dieser habe nun an den deutschen Grenzen begonnen. Die illegale Migration gefährde „die politische Stabilität Deutschlands und Europas“, sie gefährde „die politische Stabilität unseres Landes“.
Die bisherigen Maßnahmen seien nur der erste Schritt, fuhr Dobrindt fort: „Wir werden die Begrenzung wieder in das Aufenthaltsgesetz aufnehmen. Wir werden die Expresseinbürgerung abschaffen. Wir werden den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten aussetzen. Wir werden freiwillige Aufnahmeprogramme womöglich beenden. Wir werden die Liste der sicheren Herkunftsstaaten ausweiten. Wir werden in Europa das Gemeinsame Europäische Asylsystem umsetzen und nachschärfen. Wir werden nach Afghanistan und Syrien abschieben. Und wir werden einen dauerhaften Ausreisearrest für ausreisepflichtige Gefährder und schwere Straftäter einführen, sodass es nur noch zwei Möglichkeiten gibt: Haft oder Heimflug.“
„Das ist unsere Agenda für Humanität und Ordnung, für Steuerung und Begrenzung und für weniger Spaltung und mehr gesellschaftlichen Frieden in unserem Land,“ fügte der Innenminister höhnisch hinzu.
Die SPD trägt all dies mit. SPD-Innenministerin Nancy Faeser hat Dobrindt mit ihrer Migrationspolitik den Weg bereitet, so wie dieser nun der AfD den Weg bereitet. Lars Klingbeil, als Parteivorsitzender, Vizekanzler und Finanzminister neuer starker Mann der SPD, antwortete auf die Frage nach der Rechtsmäßigkeit von Dobrindts Maßnahmen: „Wir verstoßen nicht gegen Europarecht, wir machen keine nationalen Alleingänge,“ und berief sich dabei auf Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU).
Leise Kritik gab es aus der SPD nur an den Grenzkontrollen, weil sie die ihrer Ansicht nach die europäische Einheit und damit die deutsche Dominanz in Europa gefährden. Rechtliche oder humanitäre Vorbehalte hat die SPD nicht.
Die Reaktion der AfD auf Dobrindts Rede bestätigte das Sprichwort: „Wenn man dem Teufel den kleinen Finger gibt, so nimmt er die ganze Hand.“ Sie forderte mehr. Ihr innenpolitischer Sprecher Gottfried Curio warf Dobrindt vor, er wolle die illegale Migration „nicht beenden, sondern nur zurückdrängen“ und verlangte mehr Ausreisehaft, den Widerruf der Aufenthaltsgenehmigung für Hunderttausende subsidiär geschützte Syrer und andere zusätzliche Maßnahmen.
Der Angriff auf Flüchtlinge und Migranten, die Schwächsten und Rechtlosesten der Gesellschaft, ist der Auftakt zu Angriffen auf die gesamte arbeitende Bevölkerung. Die gewaltigen Ausgaben für Krieg und Aufrüstung, die damit verbundenen Lohn- und Sozialkürzungen, die Massenentlassungen in der Auto-, Zuliefer- und anderen Industrien werden heftigen Widerstand auslösen. Dagegen richten sich das Schüren von Migrantenhass und die Aufrüstung des Staatsapparats.
Die Arbeiterklasse darf sich nicht spalten lassen. Die Verteidigung von Flüchtlingen und Migranten, der Kampf gegen Krieg und Militarismus und die Verteidigung von Arbeitsplätzen, Einkommen und Sozialleistungen sind untrennbar miteinander verbunden. Sie erfordern den Aufbau einer Partei, die die Arbeiter aller Nationalitäten und Länder vereint und für den Sturz des Kapitalismus und den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft kämpft – der Sozialistischen Gleichheitspartei und des Internationalen Komitees der Vierten Internationale.