Das jüngst erschienene Buch „Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde. Gegen die Kriegstüchtigkeit“ (Rowohlt, 2025) von Ole Nymoen stößt auf große Aufmerksamkeit. Der 1998 geborene Journalist und Podcaster greift darin die weitverbreitete Opposition gegen Militarisierung, Wehrpflicht und Aufrüstung auf.
Ausgangspunkt war ein viel diskutierter Artikel, den Nymoen im Sommer 2024 in der Zeit veröffentlichte. Er löste einen „Shitstorm“ aus und veranlasste den Rowohlt Verlag, ihn seine Thesen in Buchform ausarbeiten zu lassen. Auf gut hundert Seiten liefert Nymoen Argumente gegen „Kriegstüchtigkeit“ – also gegen Militarismus, Aufrüstung und die Erwartung, im Ernstfall fürs Vaterland zu kämpfen.
Gerade jüngere Leserinnen und Leser fühlen sich von Nymoens pazifistischer Grundhaltung angesprochen, zumal er erklärt: „Nicht kämpfen zu wollen für einen Staat … [ist] ein Akt der Humanität und des Protests für mehr kollektive Selbstbestimmung.“ Seine Opposition gegen Nationalismus und Kriegsdienst – Nymoen beruft sich sogar auf Marx‘ Losung „Die Arbeiter haben kein Vaterland“ – trifft offenbar einen Nerv in einer Zeit, in der Unsummen in die Aufrüstung gesteckt, die Wehrpflicht wieder eingeführt, der Krieg in der Ukraine und der Genozid in Gaza verschärft werden und ein dritter Weltkrieg droht. Das Buch erlebte innerhalb kurzer Zeit mehrere Auflagen und wurde breit besprochen.
Nymoens Thesen sind mittlerweile in den Mainstream-Medien präsent: So diskutierte er sie in der 3sat-Talkshow „Bosetti Late Night“ und in der ARD-Talkrunde „Hart aber fair“, wo ihm ein Bundeswehroffizier mit dem nationalistischen Slogan „Deutschland ist es wert“ widersprach. Zugleich findet er auch im pseudolinken Milieu Gehör. Er ist Kolumnist der Zeitschrift Jacobin, die den Democratic Socialists of America (DSA) nahesteht, und trat bei Veranstaltungen der Linkspartei-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung als Redner auf.
Wer aber in seinem Buch nach einer Erklärung der Ursachen des Kriegswahnsinns und nach einer Antwort auf die Frage sucht, wie dieser gestoppt werden kann, sieht sich bitter enttäuscht. Nymoen liefert keine politische Perspektive für den Kampf gegen Krieg. Im Gegenteil betont er offen, aus seiner Kritik lasse sich „keine realpolitische Haltung oder Strategie ableiten“ – er habe „keine konstruktive, realistische Lösung im Angebot“ (S.67).
Die Aussicht, breite Unterstützung für seine pazifistische Haltung zu gewinnen, hält er selbst für gering: „Dass ich mit dieser Haltung viele Menschen nicht überzeugen kann, weiß ich selbst.“ (S.115). Folgerichtig propagiert Nymoen lediglich die persönliche Verweigerung des Kriegsdienstes und – im Extremfall – die Flucht ins Exil. „Eher würde ich zu fliehen versuchen“ (S.114), schreibt er. Wohin er vor einem dritten Weltkrieg fliehen würde, verrät er nicht.
Damit belässt es Nymoen bei einem individuellen moralischen Protestakt, der zwar symbolisch bedeutsam sein kann, aber die Kriegstreiber real nicht stoppen wird. Denn so edel die Weigerung, auf Fremde zu schießen, auch ist – sie beantwortet nicht die Frage, wer die Kriege initiiert und wie ihre Macht gebrochen werden kann.
Man könnte das für ein Ergebnis von Naivität oder der historischen Ignoranz des Autors halten. Doch Nymoen ist nicht naiv. Er greift gezielt die einzige Perspektive an, die die Kriegsentwicklung stoppen kann: Die Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse zum Sturz des Kapitalismus.
Kein Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Krieg
Im Kapitel „Zum Verhältnis von Staat, Kapitalismus und Krieg“ argumentiert Nymoen gegen die marxistische Auffassung, dass imperialistische Kriege die Konsequenz der Todeskrise des Kapitalismus sind. Er greift explizit die Analyse des Imperialismus an, die Wladimir I. Lenin im Laufe des Ersten Weltkriegs entwickelt hatte.
Lenin wies in seiner Schrift „Der Imperialismus als höchste Stufe des Kapitalismus“ nach, dass der Imperialismus keine willkürliche „Politik“ ist, die auch durch eine andere ersetzt werden kann, sondern dass er sich zwangsläufig aus den objektiven Widersprüchen des Kapitalismus ergibt und ein neues, das Endstadium des Kapitalismus darstellt. Er schreibt:
Der Imperialismus ist der Kapitalismus auf jener Entwicklungsstufe, wo die Herrschaft der Monopole und des Finanzkapitals sich herausgebildet, der Kapitalexport hervorragende Bedeutung gewonnen, die Aufteilung der Welt durch die internationalen Trusts begonnen hat und die Aufteilung des gesamten Territoriums der Erde durch die größten kapitalistischen Länder abgeschlossen ist.
Lenin folgert daraus, dass imperialistische Kriege um die Neuaufteilung der Welt unvermeidlich sind, solange der Kapitalismus nicht durch die Arbeiterklasse gestürzt wird. Und er gelangt zum Schluss, dass dieselben objektiven Widersprüche, die die imperialistischen Mächte in den Krieg treiben, auch die Klassengegensätze verschärfen und die Voraussetzungen für die sozialistische Revolution schaffen.
Das unterschied Lenin von pazifistischen und anderen sozialistischen Kriegsgegnern der damaligen Zeit. Während sich letztere auf Friedensappelle und die Forderung nach Verzicht auf Annexionen beschränkten, trat Lenin für die Beendigung des Kriegs mit den Mitteln des Klassenkampfs ein. Im Oktober 1917 ergriffen die Arbeiter in Russland unter Lenins Führung die Macht und stellten am ersten Tag die Kriegshandlungen ein.
Nymoen zitiert die oben angeführte Passage aus Lenins Buch (S. 49) – und greift sie scharf an. Er bezeichnet Lenins Analyse der Macht des Finanzkapitals als „fast schon verschwörungstheoretisch“ und macht sich über die Vorstellung lustig, „einige amerikanische Bankiers“ hätten sich „zusammengesetzt, die globalen Grenzziehungen ausgeklüngelt und diese dann an die herrschenden Politiker durchgegeben, damit sie gewaltsam durchgesetzt werden“.
Die Auffassung, das Finanzkapital verlange nach kriegerischer Expansion, damit weitere Profite gemacht werden können, bezeichnet er als „mehr als schief“. Der Staat tauche hier nicht als „eigenständiger Akteur auf, der über selbstgesteckte Ziele verfügt, sondern als stummer Diener des Geldes“. (S.50/51) Weiter unten schreibt er, „dass es nicht partikulare Kapitalinteressen sind, die wesentlich hinter militärischen Konfrontationen stecken – sondern die Staaten mit ihren Macht- und Gewaltansprüchen“. (S.54)
Nymoen umgeht hier der offensichtlichen Frage, wessen Machtansprüche die Staaten verkörpern. Er vertritt die klassische Illusion der kleinbürgerlichen Demokraten, dass der Staat neutral über den Klassen schwebe – nur auf den Kopf gestellt und ins Negative gewendet. Während die kleinbürgerlichen Demokraten behaupten, der Staat vertrete die Interessen aller Bürger – was Nymoen ablehnt –, erklärt er, der Staat verfolge eigene Machtinteressen, die unabhängig von denen des Kapitals seien oder sogar im Gegensatz zu diesen stünden.
So behauptet er allen Ernstes, gerade am Ersten Weltkrieg blamiere sich „Lenins gleichzeitig entstandene Imperialismustheorie komplett“. Dafür gebe es „neben der Eigenlogik staatlicher Machtpolitik noch einen zweiten Grund: die Schädlichkeit des Krieges für das Kapital im Ganzen“. Für die meisten Beteiligten sei der Erste Weltkrieg ein Verlustgeschäft gewesen, der gesamtwirtschaftliche Schaden habe den partikularen Nutzen um ein Vielfaches überstiegen. (S.52-53)
Nymoen verkennt hier nicht nur die elementaren Triebkräfte imperialistischer Kriege, sondern ignoriert auch jede ernsthafte historische Forschung zu den materiellen Kriegszielen der Großmächte. Fritz Fischers 1961 erschienener Klassiker „Griff nach der Weltmacht“ hat die Verwurzelung der deutschen Kriegsziele „in industrie-kapitalistischen, agrarischen und überseeisch-kommerziellen Interessen“ im Detail nachgewiesen. Fischer hat auch gezeigt, dass Hitler im Zweiten Weltkrieg weitgehend dieselben Ziele verfolgte.
Nick Beams hat auf der WSWS dargelegt, dass die beiden Weltkriege Ausdruck der „unumgänglichen Widersprüche des imperialistischen Systems“ waren, das auf dem Kampf um Kolonien, Rohstoffe, Absatzmärkte und strategische Weltregionen basiert. Kapitalinteressen wurden nicht verletzt, sondern auf brutalste Weise durchgesetzt – mit gewaltigem Profit für Banken, Waffenindustrie und Exportmonopole.
Dass Millionen Arbeiter in den Schützengräben starben, ist für Nymoen offenbar nur ein weiterer Beleg dafür, dass „das Kapital im Ganzen“ lieber Frieden gehabt hätte – eine groteske Umkehrung der Wirklichkeit. Lenins Analyse, dass Kriege im Imperialismus nicht aus irrationalem Staatswahn, sondern aus der inneren Logik des globalen Kapitalismus entstehen, hat der Erste Weltkrieg nicht widerlegt, sondern bestätigt.
Die Herrschaft der Finanzoligarchie
Man fragt sich, in welcher Welt Nymoen lebt. Im Vergleich zur heutigen Macht des Finanzkapitals steckte sie zu Lenins Zeiten noch in den Kinderschuhen. Und der Zusammenhang zwischen Staatsmacht, Finanzoligarchie und imperialistischem Krieg war noch nie so offensichtlich wie heute.
Als Lenin sein Buch schrieb, gab es weltweit exakt einen Milliardär – den Ölmagnaten John D. Rockefeller. Heute gibt es 2800, von denen etliche zwei- und dreistellige Milliardenvermögen besitzen. Allein im vergangenen Jahr ist das Gesamtvermögen der Milliardäre laut Oxfam von 13 auf 15 Billionen Dollar gewachsen. Das reichste ein Prozent der Weltbevölkerung besitzt nahezu die Hälfte des globalen Vermögens.
Ursache von Krieg und Militarismus ist aber nicht nur das Ausmaß der angehäuften Vermögen, sondern das finanzielle Parasitentum, auf dem sie beruhen. Wie David North, der Chefredakteur der WSWS, in seiner MayDay-Rede erklärte, hat sich das Fundament der US-Wirtschaft in den letzten 50 Jahren von industrieller Produktion zum Finanzparasitentum verschoben:
Der Reichtum der amerikanischen herrschenden Klasse beruht nicht auf dem Wachstum der Produktion, sondern auf einer uferlosen Ausweitung der Verschuldung. Der amerikanische Kapitalismus besteht heute aus einer riesigen Menge an fiktivem Kapital – also Ansprüchen auf künftige Einnahmen aus Krediten und unzähligen Schuldverschreibungen.
Die Staatsverschuldung der USA, die 1980 noch knapp unter einer Billion Dollar lag, ist mittlerweile auf 36 Billionen gestiegen. Allein in den letzten vier Jahren betrug der Zuwachs 10 Billionen. Nur etwa 15 Prozent der über US-Finanzinstitute zirkulierenden Gelder fließen in neue Unternehmensinvestitionen, die restlichen 85 Prozent jagen nach bestehenden Anlagen. Der Kursanstieg von Aktien und anderen Wertpapieren hat kaum mehr etwas mit dem realen Produktionsprozess zu tun. Dieser gewaltige Schuldenberg untergräbt das Vertrauen in den Dollar und damit in das internationale Finanzsystem, auf dem die vorübergehende Stabilisierung des globalen Kapitalismus nach zwei verheerenden Weltkriegen beruhte.
Der amerikanische Imperialismus versucht, sich aus dieser Sackgasse zu befreien, indem er seine militärische Übermacht einsetzt und der ganzen Welt – sowie der eigenen Arbeiterklasse – den Krieg erklärt. Darin besteht die Bedeutung der Präsidentschaft von Donald Trump. Er verkörpert wie kein anderer Präsident vor ihm die Diktatur der amerikanischen Finanzoligarchie mit ihren Gangstermethoden. Er ist nicht nur selbst Milliardär; als er vereidigt wurde, standen die reichsten Männer der USA – Elon Musk, Jeff Bezos, Mark Zuckerberg und Sundar Pichai – hinter ihm.
Trump reagiert auf Probleme, für die es im Rahmen des Kapitalismus keine Lösung gibt, indem er wild um sich schlägt. Er versucht das Handelsdefizit der USA durch Zölle abzubauen, die die Weltwirtschaft erwürgen. Er versucht das Loch im Haushalt durch die Streichung von Sozialprogrammen zu stopfen, von denen das Überleben von Millionen abhängt. Und er errichtet eine faschistische Diktatur. Er beansprucht Panama, Kanada und Grönland und bereitet einen Krieg gegen China vor. Die Demokraten setzen Trump nichts entgegen, weil auch sie die Interessen der Wall Street vertreten.
Ähnliche Entwicklungen finden in Deutschland und allen anderen imperialistischen Ländern statt. Der deutsche Imperialismus hatte im Ersten und im Zweiten Weltkrieg versucht, sich aus seiner beengten Lage in der Mitte Europas durch die Unterwerfung Europas und die Eroberung neuen „Lebensraums“ im Osten zu befreien. Beide Kriege endeten in einer katastrophalen Niederlage.
Doch die herrschende Klasse Deutschlands fand sich nie damit ab, dass sie nach dem Scheitern von Hitlers Vernichtungskrieg militärisch ins zweite Glied zurücktreten musste. Bereits 2014 forderte die damalige Regierung von Angela Merkel, Deutschland müsse militärisch wieder eine Rolle spielen, die seinem wirtschaftlichen Gewicht entspreche. Ein Strategiepapier, das der Regierung als Blaupause für die Außenpolitik diente, beanspruchte für Deutschland eine internationale „Führungsrolle“. Als „Handels- und Exportnation“ lebe es wie „kaum ein anderes Land von der Globalisierung“ und brauche „die Nachfrage aus anderen Märkten sowie Zugang zu internationalen Handelswegen und Rohstoffen“.
Im Ukrainekrieg, den die deutsche Regierung laut eigenen Angaben bisher mit Militärhilfen in Höhe von 28 Milliarden Euro unterstützt hat, wird diese Strategie in die Tat umgesetzt. Es geht dabei nicht um „Frieden“ und „Demokratie“, sondern um die Kontrolle der Ukraine mit ihren reichen Ressourcen und um die Unterwerfung Russlands. Der deutsche Imperialismus dringt wieder in dieselbe Richtung vor wie im Ersten und Zweiten Weltkrieg.
Anpassung an den deutschen Imperialismus
Bei Nymoen sucht man vergeblich nach einer konkreten Analyse des Ukrainekriegs, des Gazakonflikts oder anderer Kriege der heutigen Zeit. Er operiert mit leeren Abstraktionen – „Krieg“, „Staat“, „Macht“ – als wäre jeder Krieg derselbe. Er bringt es fertig, ein Anti-Kriegs-Buch zu schreiben, ohne auch nur zu einem einzigen aktuellen Krieg politisch Stellung zu beziehen. Den Völkermord an den Palästinensern in Gaza erwähnt er mit keinem Wort.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Für ihn gibt es auch keine Geschichte. Seine historische Ignoranz macht die Lektüre des Buches über lange Strecken peinlich. Er ersetzt die historische und gesellschaftliche Analyse durch eklektisch zusammengewürfelte Zitate, die von Marx über dessen erbitterten Gegner Nietzsche bis zu Bertolt Brecht und zum GegenStandpunkt reichen, einer zynischen, arbeiterfeindlichen Publikation.
Nymoens abstrakte Herangehensweise verwandelt jeden Krieg in einen allgemeinen Konflikt zwischen „Staat X“ und „Staat Y“. (S. 33) „In ihrem totalitären Anspruch – dass das Leben des Einzelnen weniger gilt als die politische Souveränität der Herrschenden – sind angreifende und verteidigende, demokratische und diktatorische Staaten sich völlig gleich,“ erklärt er. (S.65) Es werde „unwichtig, ob der Krieg defensiv oder offensiv, imperialistisch oder national“ sei, zitiert er Simone Weil, über die schon Leo Trotzki geschrieben hatte, sie habe „natürlich das Recht, nichts zu verstehen, aber man sollte dieses Recht nicht missbrauchen“.
Nymoen betont immer wieder, dass Kriege „sinnlos“ seien. Aber sinnlos sind sie nur vom Standpunkt einer Moral, die über der gesellschaftlichen Realität schwebt. Kriege ergeben sich aus der komplexen Interaktion sozialer, wirtschaftlicher und geopolitischer Prozesse und Interessen im Weltmaßstab. Sie haben durchaus einen Sinn, den man verstehen muss, um sie zu bekämpfen. Schon der preußische Militärtheoretiker Clausewitz begriff, dass Kriege „die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ sind. Kriege stehen immer in einem politischen Kontext.
Die Verwandlung des Kriegs in eine ahistorische, über der gesellschaftlichen Realität stehende Abstraktion ebnet den Weg für die Kapitulation vor den Kriegstreibern. Sie ist charakteristisch für den Pazifismus, der – wie die historische Erfahrung zeigt – nur für Friedenszeiten taugt. Kaum wird scharf geschossen, springen die Pazifisten ins Lager der Kriegsbefürworter und Vaterlandsverteidiger.
Zuletzt haben die Grünen das vorgemacht. 1980 als pazifistische Partei gegründet, lehnten sie noch im Bundestagswahlkampf 1998 Kriegseinsätze der Bundeswehr grundsätzlich ab. Doch noch bevor sie dann unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) in die Regierung eintraten, stimmten sie dem ersten Kriegseinsatz der Bundeswehr in Jugoslawien zu.
Der Grüne Joschka Fischer, der unter Schröder Außenminister wurde, rechtfertigte das mit dem zynischen Argument, die Verantwortung für Auschwitz verpflichte Deutschland, Belgrad zu bombardieren (wie es bereits die Wehrmacht unter Hitler getan hatte), um einen angeblichen Völkermord zu verhindern. Heute, wo das Regime von Benjamin Netanyahu in Gaza mit deutscher Unterstützung einen wirklichen Völkermord begeht, stehen die Grünen voll dahinter.
Lenin hatte bereits im Ersten Weltkrieg gewarnt: „Pazifismus und abstrakte Friedenspredigt sind eine Form der Irreführung der Arbeiterklasse.“ Eine Friedenspropaganda, die nicht von der Aufrufung der Massen zu revolutionären Aktionen begleitet sei, könne nur Illusionen erwecken, die Arbeiterklasse demoralisieren, indem man ihr Vertrauen in die Humanität der Bourgeoisie einflöße, und sie zu einem Spielzeug in den Händen der Geheimdiplomatie der kriegführenden Länder machen.
Wie nahe Nymoen den Kriegstreibern in Berlin und Brüssel steht, zeigt seine Weigerung, den Nato-Aufmarsch gegen Russland und den Genozid in Gaza klar zu verurteilen. Er lehnt es zwar persönlich ab, fürs Vaterland zu sterben, aber politisch entgegentreten will er den Kriegstreibern nicht. Er lehnt Kriege allgemein ab und predigt den individuellen Verzicht auf Kriegsdienst. Aber wenn es um die Verurteilung aktueller Kriegsverbrechen geht, hüllt er sich in vornehmes Schweigen. Dass Deutschland zum dritten Mal seit 1914 gegen Russland mobil macht, berührt ihn offenbar ebenso wenig wie das Massensterben in Gaza.
Sozialismus ohne Klassenkampf
Hier geht es nicht um abgehobene theoretische Fragen, sondern um die Grundlage einer politischen Perspektive, ohne die kein ernsthafter Kampf gegen Krieg möglich ist. Man kann nicht ernsthaft gegen die Gefahr eines dritten Weltkriegs vorgehen, ohne ihre Ursachen zu verstehen.
Nymoen spricht sich für einen „modernen Sozialismus“ aus, für eine „sinnvoll geplante Gesellschaft“, in der „die Menschen ihre ökonomischen Verhältnisse selbst in die Hand nehmen“ und „aufhören, sich zuallererst mit ihrer Nationalität oder ihrem Staat zu identifizieren“. (S.131) Er bezeichnet „die Armut und die konkurrierenden Nationalstaaten“ als „Hauptursachen der Gewalt“. (S.114) Er schreibt: „Ich würde gerne in einer Welt leben, in der niemand sich Sorgen machen muss, wie er den nächsten Monat bestreiten kann, weil weder Krieg noch Armut wie ein Damoklesschwert über seinem Kopf schweben.“ (S. 127)
Aber indem er den Zusammenhang zwischen Krieg und Kapitalismus leugnet, versperrt Nymoen den Weg zu diesem Ziel. Er sieht die Aufgabe in der individuellen Überzeugungsarbeit. „Millionen vereinzelte Erwerbsbürger, die sich in einer Ellenbogengesellschaft bewähren müssen, um über die Runden zu kommen“, „deren höchste Einigkeit darin besteht, dass sie alle zwei Jahre auf der Fan-Meile eine schwarz-rot-goldene Flagge wedeln“ dürfen, die versuchen, „den anderen zu übervorteilen und auszustechen“, (S. 128-129) müssen von den Vorteilen einer solidarischen Gesellschaft überzeugt werden – eine nicht zu bewältigende Sisyphos-Arbeit!
In Wirklichkeit führt der einzige Weg zum Sozialismus über die Entwicklung des Klassenkampfs. „Die Revolution, die die politische Grundlage für den Sozialismus schaffen wird, wird in zahllosen Kämpfen vorbereitet, in denen die Arbeiterklasse weltweit ihre Interessen und Rechte verteidigt,“ schrieb die WSWS im Januar in ihrer Perspektive zum Neuen Jahr. „Die internationale Arbeiterklasse ist die mächtigste und größte soziale Kraft auf dem Planeten, die Quelle aller Werte in der kapitalistischen Gesellschaft. … Die internationale Arbeiterklasse ist objektiv im globalen Produktionsprozess vereint, der von transnationalen Konzernen und Vertriebsnetzen beherrscht wird, die die Arbeiter in der ganzen Welt im Interesse des Profits ausbeuten.“
Die Entfesselung dieser gewaltigen revolutionären Kraft ist das Ziel der Sozialistischen Gleichheitspartei und des Internationalen Komitees der Vierten Internationale. Mit der Gründung der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) hat das IKVI einen wichtigen Schritt getan, um die Arbeiterklasse über Länder- und Branchengrenzen hinweg zu vereinen. In Aktionskomitees können sich die Arbeiter demokratisch organisieren, ihre Forderungen durchsetzen und ihre Kämpfe mit denen ihrer Kolleginnen und Kollegen auf der ganzen Welt verbinden.
Die IWA-RFC dient als Rahmen für den Informationsaustausch, die Planung kollektiver Aktionen und eine gemeinsame Offensive gegen Ausbeutung, Sozialkürzungen und Krieg. Sie stellt sich allen Formen des nationalen Chauvinismus und der Migrantenhetze entgegen, mit denen die herrschende Klasse die Arbeiter gegeneinander ausspielt.
Ihr Aufbau erfordert einen systematischen politischen Kampf gegen die nationalistischen Gewerkschaftsführer, die eng mit den Konzernen zusammenarbeiten, und gegen alle Parteien, einschließlich der Linkspartei, die den Kapitalismus verteidigen.
Nymoens Buch wird nicht zufällig von der Rosa-Luxemburg-Stiftung beworben. Seine Kritik am Militarismus und an verschiedenen Aspekten der kapitalistischen Gesellschaft, während er gleichzeitig den Klassenkampf ablehnt, ist kompatibel mit einer Partei, die linke Phrasen drischt, aber im Ernstfall im Bundesrat für Kriegskredite von einer Billion Euro stimmt, im Bundestag Friedrich Merz zur schnellen Kanzlerwahl verhilft und in Landesregierungen Sozialabbau und Abschiebungen organisiert.
Die Linke arbeitet mit denselben Methoden wie Nymoen. Sie stellt sich in Parteitagsresolutionen als zentrale Kraft „im Protest gegen Aufrüstung, Sozialabbau, Klimazerstörung und Rechtsruck“ dar und verurteilt den Krieg im Allgemeinen. Doch wenn es ernst wird, kneift sie und stellt sich hinter die Regierung. Auf ihrem jüngsten Parteitag verteidigte sie das „Selbstverteidigungsrecht Israels“ – ein Synonym für Massenmord, Zerstörung und Vertreibung.