Mit dem Rücktritt von Kultursenator Joe Chialo (CDU) und der schnellen Nominierung der bisherigen Kulturstaatssekretärin Sarah Wedl-Wilson für das Amt bereitet die Berliner Landesregierung aus CDU und SPD die Verschärfung der brutalen Kürzungen im Kulturbereich vor.
Chialo begründete seinen Rücktritt am vergangenen Freitag mit den weitreichenden Sparzwängen, die die schwarz-rote Regierung im letzten Jahr beschlossen hatte. Er habe die geforderten Einschnitte im Kulturhaushalt „schweren Herzens mitgetragen – im Bewusstsein der gemeinsamen Verantwortung für die Stadt“, erklärte er schriftlich. Die nun geplanten weiteren Kürzungen griffen jedoch „zu tief in bestehende Planungen und Zielsetzungen“ ein. Sie könnten zu „drohenden Schließungen von bundesweit bekannten Kultureinrichtungen“ führen – das könne er nicht mittragen.
Diese Darstellung ist natürlich absurd. Chialo, der zuvor als Musikmanager tätig war, hat die Kürzungen stets befürwortet. Nach übereinstimmenden Pressemeldungen hatte er im vergangenen Jahr sogar Kürzungsvorschläge vorgelegt, die fast doppelt so umfangreich waren wie die schließlich beschlossenen Maßnahmen.
Darüber hinaus war Chialo verantwortlich für den Versuch, eine sogenannte „Demokratieklausel“ einzuführen, mit der überprüft werden sollte, welches „Demokratieverständnis“ die Empfänger öffentlicher Fördergelder haben. Besonders wichtig war ihm dabei eine „Antisemitismusklausel“, die faktisch ein Verbot jeder Kritik am Staat Israel und dessen Völkermord in Gaza bedeutet hätte. Wer sich kritisch äußert, sollte von jeglicher Förderung ausgeschlossen werden. Die Klausel stieß auf heftigen Protest in der Kulturszene und wurde schließlich wegen juristischer Bedenken zurückgenommen.
Zuletzt war Chialo auf Bundesebene als möglicher Staatsminister für Kultur im Gespräch. Die CDU nominierte jedoch den ultrarechten Medienunternehmer Wolfram Weimer für das Amt.
Tatsächlich kam Chialo mit seinem Rücktritt einem Rauswurf zuvor. Innerhalb der Regierung gab es wachsende Kritik, dass er die Sparmaßnahmen nicht offensiv genug verteidige und durchsetze. So trat er etwa bei dem von ihm initiierten „Kulturdialog“ mit ausgewählten Vertretern der Berliner Kunst- und Kulturszene nicht auf – obwohl dieser dazu dienen sollte, die Proteste gegen die Kürzungen einzudämmen. Die Verteidigung der Maßnahmen übernahmen stattdessen der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und Staatssekretärin Wedl-Wilson. Im Roten Rathaus war man offenbar zu der Einschätzung gelangt, dass Chialo nicht in der Lage sei, den massiven Kahlschlag in der Berliner Kulturlandschaft gegen die wachsende Opposition durchzusetzen.
Die bisher beschlossenen Kürzungen sind enorm: Allein in diesem Jahr werden 130 Millionen Euro gestrichen, 2026 sollen es 149 Millionen sein, 2027 noch einmal 164 Millionen. Besonders dramatisch sind die Auswirkungen für die Freie Szene und kleinere Einrichtungen. Schon jetzt ist klar, dass viele in den kommenden Jahren nicht überleben werden. Selbst renommierte Häuser wie das Deutsche Theater oder die Schaubühne könnten in existenzielle Schieflage geraten. Beim Deutschen Theater wurden bereits jetzt 1,6 Millionen Euro eingespart.
Es ist offensichtlich, dass es sich um einen beispiellosen Kahlschlag handelt, der mit massiven Arbeitsplatzverlusten und Lohnsenkungen einhergehen wird. Wedl-Wilson soll diesen Kurs für die Landesregierung nun durchsetzen.
Die 56-jährige parteilose Kulturmanagerin war zuvor Rektorin der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin. Ihre Aussage, man könne „keine weiteren Kürzungen im Kulturbereich beschließen“, sind hohle Phrasen. Unmittelbar nach ihrer Ernennung machte sie neue Einsparpotenziale bei den Kultureinrichtungen aus. So sollen diese enger zusammenarbeiten, um Kosten zu senken – ein bekanntes Mittel zur Rationalisierung. Bereits 2004 wurden etwa die Deutsche Oper, die Komische Oper, die Staatsoper Unter den Linden, das Staatsballett Berlin und der Bühnenservice zur Stiftung Oper in Berlin zusammengelegt und seitdem die Etats immer wieder gekürzt und Stellen gestrichen.
Schon die aktuell beschlossenen Mittel reichen nicht aus, um die tariflichen Löhne an den vom Land geförderten Bühnen in den nächsten drei Jahren zu zahlen. Der Senat plant daher eine Änderung der Rechtsform: Die betroffenen Häuser – darunter die Volksbühne, das Gorki-Theater, das Deutsche Theater, das Theater an der Parkaue und das Konzerthaus – sollen in Stiftungen öffentlichen Rechts umgewandelt werden. Rund 1.100 Beschäftigte wären davon betroffen. Mit der Ausgliederung würden sie nicht länger unter den Tarifvertrag der Länder (TV-L) fallen, was automatisch eine Senkung der Löhne zur Folge hätte.
Gleichzeitig stellt die neue Rechtsform den Einstieg in eine vollständige Privatisierung dar. Wedl-Wilson hatte als Staatssekretärin bereits eine entsprechende Prüfung beauftragt. Der Anteil privatrechtlich organisierter Theater in Deutschland ist seit 1990 von 20 auf 45 Prozent im Jahr 2022 gestiegen – ein klarer Trend zur Kommerzialisierung und zur Zerschlagung öffentlicher Kulturfinanzierung.
Auch die „Demokratieklausel“ soll in neuer, angeblich rechtssicherer Form wieder eingeführt werden. Sie soll nicht nur Kürzungen absichern, sondern auch gegen kritische oder politisch unliebsame Einrichtungen und Künstler eingesetzt werden. Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) plant sogar eine Regelung, die über den Kulturbereich hinausgeht. Fördermittel dürften grundsätzlich nicht an „Verfassungsfeinde“ ausgezahlt werden, erklärte sie. Wer unter diesen Begriff fällt, wäre letztlich Auslegungssache – de facto würde das den Geheimdiensten Einfluss auf die Kulturförderung verschaffen.
Wie schon Wegner forderte auch Wedl-Wilson zu ihrem Amtsantritt „mehr Einnahmen“ von den Kultureinrichtungen. Wegner hatte bereits zuvor die Subventionspraxis kritisiert: „Ich glaube, wir müssen wegkommen von der Mentalität: Wir brauchen mehr Geld vom Staat.“ Die Bühnen sollten die Ticketpreise erhöhen, um fehlende Fördermittel auszugleichen – mit dem Effekt, dass der Zugang zu Kultur zunehmend zum Privileg für Wohlhabende wird.
CDU und SPD setzen damit exakt das kulturfeindliche Programm der extremen Rechten um. Der AfD-Kultursprecher Robert Eschricht begrüßte Chialos Rücktritt mit der Bemerkung, es sei bislang nicht gelungen, „die Demokratieklausel gegen linke Widerstände durchzusetzen“ und „den gordischen Knoten der überförderten und entrückten Kulturblase zu zerschlagen“.
Auch auf die Unterstützung der Oppositionsparteien im Berliner Abgeordnetenhaus können Wegner und Wedl-Wilson zählen. Die Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Bettina Jarasch und Werner Graf, forderten nach Chialos Rücktritt eine rasche Fortsetzung der Sparpolitik: „Kai Wegner, übernehmen Sie.“ Auch Anne Helm und Tobias Schulze von der Linkspartei, die in den letzten zwei Legislaturperioden selbst den Kultursenator stellte, begrüßten die schnelle Nachfolge und wünschten Wedl-Wilson „viel Erfolg“.