Nach ihrem Wahlerfolg bei den Bundestagswahlen versucht sich Die Linke auf ihrem heute beginnenden Parteitag in Chemnitz als soziale, anti-faschistische und anti-militaristische Organisation darzustellen. In ihrem Leitantrag mit dem Titel „Wir sind die Hoffnung“ bezeichnet sie sich als „treibende politische Kraft für eine solche solidarische Alternative“. Die Linke nehme „eine zentrale Rolle im Protest gegen Aufrüstung, Sozialabbau, Klimazerstörung und Rechtsruck ein“ und verfolge das Ziel, sich „als sozialistische Mitgliederpartei weiterzuentwickeln“.
All das ist ein offensichtlicher Betrug. Junge Arbeiter und Studierende, die gegen Faschismus, Militarismus und sozialen Kahlschlag kämpfen wollen und bei den Bundestagswahlen mehrheitlich Die Linke gewählt haben, stehen vor grundlegenden historischen und politischen Aufgaben. Dabei müssen sie vor allem ein korrektes Verständnis der Rolle der Linkspartei entwickeln. Diese vertritt nicht ihre Interessen und ist auch keine linke oder gar sozialistische Partei. Tatsächlich spielt sie beim Sozialabbau und der Abschiebung von Flüchtlingen eine zentrale Rolle und stimmt auch in der Kriegsfrage im Kern mit der Politik der Regierung überein.
Das zeigte sich besonders deutlich bei der Wahl von Friedrich Merz (CDU) zum neuen Bundeskanzler im zweiten Wahlgang vor wenigen Tagen. Dass Merz – ein Politiker der in zentralen Fragen offen mit der rechtsextremen AfD paktiert und wie kaum ein zweiter deutscher Politiker für die Interessen des Finanzkapitals, eines aggressiven Militarismus und autoritären Staats eintritt – überhaupt ins Amt gelangen konnte, ist in entscheidendem Maße der Unterstützung der Linkspartei zu verdanken.
Nachdem Merz im ersten Wahlgang gescheitert war, löste das unter allen Bundestagsparteien fieberhafte Nervosität aus. Eine offene politische Krise bahnte sich an, die die Stabilität des deutschen und europäischen Kapitalismus und Imperialismus zu erschüttern drohte. Um dies zu verhindern, einigten sich die Fraktionen noch am selben Tag auf einen zweiten Wahlgang – mit Zustimmung der Linken.
Kurz vor der zweiten Abstimmung erklärte der notorisch rechte Unionsfraktionschef Jens Spahn unverblümt, worum es ging. Ganz Europa, vielleicht sogar die ganze Welt schaue auf diese Wahl. Deutschland werde gebraucht. Dann bedankte er sich bei allen, die einen zweiten Wahlgang so rasch möglich gemacht hatten – allen voran bei der Linkspartei. Ihre Führer hatten Merz unmittelbar nach der gescheiterten ersten Abstimmung zugesichert, eine zweite Wahl zu ermöglichen.
Bodo Ramelow, ehemaliger Ministerpräsident Thüringens und heutiger Vizepräsident des Bundestags, versicherte: „Wir werden auch als Linke mitwirken, dass die Zweidrittelmehrheit zustande kommt.“ Und nach der Wahl pries er die Entscheidung mit den Worten: „Wir haben Friedrich Merz nicht gewählt. Aber wir haben den Wahlgang ermöglicht, um die Demokratie zu schützen.“
Der frühere Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch feierte die staatstragende Rolle seiner Partei mit den Worten: „Heute wurde ein Chaos verhindert!“
Um es auf den Punkt zu bringen: In einem historischen Moment politischer Instabilität spielte die Linkspartei die Schlüsselrolle dabei, die Kanzlerschaft von Merz zu ermöglichen und seiner extrem rechten Regierung den Weg zu ebnen. Auf ihren für sie selbst überraschenden Wahlerfolg bei den letzten Bundestagswahlen – bei den Wählern unter 25 Jahren erzielte sie mit 25 Prozent das beste Ergebnis aller Parteien – reagiert sie die mit einem scharfen Ruck nach rechts.
Die Merz-Regierung ist unzweifelhaft die reaktionärste und arbeiterfeindlichste Regierung seit dem Sturz des Nazi-Regimes vor 80 Jahren. Ihr zentrales Ziel besteht darin, die letzten Beschränkungen zu beseitigen, die dem deutschen Militarismus aufgrund seiner beispiellosen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg auferlegt wurden. Mit der Verabschiedung von Kriegskrediten in Höhe von einer Billion Euro hat sie bereits den Grundstein für eine massive militärische Aufrüstung gelegt.
Die neue Koalition aus CDU, CSU und SPD rüstet nicht nur wie einst Hitler auf – sie bereitet auch einen beispiellosen sozialen Kahlschlag vor und treibt den Aufbau eines autoritären Polizeistaats voran. Damit soll die Finanzierung der Aufrüstung gesichert und der wachsende Widerstand in der Bevölkerung unterdrückt werden. Im Inneren übernimmt sie die Flüchtlingspolitik der faschistischen AfD und verschafft deren nationalistisch aufgeladener „Kulturpolitik“ den Durchbruch.
Das hielt die Parteivorsitzende Ines Schwerdtner nicht davon ab, direkt nach der Wahl bei Merz um eine permanente enge Zusammenarbeit mit der neuen Regierung zu buhlen. „Ich erwarte von der Union, dass sie sich nicht nur meldet, wenn die Hütte brennt, sondern auch bei anderen politischen Entscheidungen, wenn eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig ist.“
Das ist unmissverständlich. Die Linkspartei betrachtet sich selbst als Teil der neuen Regierung und steht bereit, ihr rechtes Programm gegen die enorme Opposition in der Bevölkerung durchzusetzen.
Laut einem am Mittwoch veröffentlichten „Deutschlandtrend“ ist die neue Koalition zu Amtsbeginn noch unbeliebter als die vorherige Ampel-Regierung. Nur ein Drittel der Bevölkerung hält Merz demnach für eine gute Besetzung. Nur vier Prozent der Befragten finden die neue Regierung „sehr gut“, 38 Prozent finden sie „gut“, 29 Prozent halten sie für „weniger gut“ und 24 Prozent für „schlecht“.
Der Schulterschluss der Linkspartei mit Merz und seiner verhassten Regierung ist kein Zufall. Sie ergibt sich direkt aus ihrer sozialen und politischen Orientierung. Sie ist eine Partei des Staats, deren vorrangiges Ziel darin besteht, den Kapitalismus und die bürgerliche Ordnung zu verteidigen. Dabei ist sie bereit, mit offen rechten und militaristischen Kräften zu kooperieren und ihrer Politik zum Durchbruch zu verhelfen.
Bereits wenige Wochen vor der Wahl von Merz hatte die Linkspartei im Bundesrat den Kriegskrediten in Höhe von über einer Billion Euro zugestimmt – das größte Aufrüstungsprogramm seit Hitler. Die Zustimmung war nicht nur freiwillig (ihre Stimmen waren nicht erforderlich), sie war auch politisch begründet. Die Parteivorsitzende Schwerdtner und Spitzenkandidatin Reichinnek erklärten mehrfach, man sei nicht gegen Aufrüstung, sondern wolle diese lediglich effizient mitgestalten.
Damals legte die Sozialistische Gleichheitspartei auf einer Veranstaltung mit dem Titel „Warum hat die Linkspartei dem Rüstungswahnsinn zugestimmt?“ dar, was hinter der militaristischen und im Kern rechten bürgerlichen Agenda der Linkspartei steht:
Der Militarismus der Linkspartei ist letztlich nicht einfach ein Produkt ihrer rechten Führer, sondern wurzelt in der politischen und sozialen Orientierung und der Geschichte der Partei. [...] Sie war immer eine bürgerliche Organisation, die die Interessen des Staatsapparats und wohlhabender Mittelschichten vertritt.
Wir erklärten, dass ihre stalinistische Vorgängerorganisation, die SED/PDS, die Einführung des Kapitalismus in Ostdeutschland unterstützt und damit den Boden für die Rückkehr des deutschen Militarismus bereitet hat; und dass sie überall dort, wo sie gemeinsam mit SPD und Grünen auf Landesebene regiert bzw. regierte, die heftigsten sozialen Angriffe organisiert und durchsetzt.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Auch ihr Argument, die Unterstützung für Merz diene dem „Schutz der Demokratie“ und dem Kampf gegen die AfD, ist ein Betrug. Tatsächlich ist sie für den Aufstieg der extremen Rechten gleich in mehrfacher Hinsicht verantwortlich.
Erstens hat sie die soziale Katastrophe, die viele Arbeiter vor allem in den ostdeutschen Bundesländern in die Verzweiflung treibt, zentral mit verursacht. Zweitens erzeugt die Tatsache, dass sie im Namen einer „linken“ Partei eine rechte, kapitalistische Politik verfolgt, die politische Frustration, die die AfD-Faschisten ausschlachten können. Und drittens ist sie auch selbst bereit, mit der extremen Rechten und ihren Unterstützern in der herrschenden Klasse zu paktieren und ihr flüchtlings- und arbeiterfeindliches Programm in die Tat umzusetzen. Ihr Bündnis mit Merz ist da nur der deutlichste aktuelle Ausdruck.
Tatsächlich spielt Die Linke seit ihrer Gründung eine zentrale Rolle, Krisen des politischen Systems zu entschärfen und Widerstand gegen rechte Politik zu neutralisieren. Sie tritt nicht für eine sozialistische Umwälzung ein, sondern will den Kapitalismus „reformieren“ – ein Projekt, das unter Bedingungen von Krieg, sozialer Polarisierung und autoritärem Staatsumbau zur offenen Zusammenarbeit mit der Reaktion führt.
Auch in der Außenpolitik unterstützt die Linkspartei an allen Kriegsfronten den deutschen Imperialismus. Das gilt für die Nato-Kriegsoffensive gegen Russland in der Ukraine genau so wie für Israels Genozid an den Palästinensern und die Entwicklung einer deutsch-europäischen Großmachtpolitik. Als Gregor Gysi, Galionsfigur und Gründervater der Linkspartei, als Alterspräsident den neuen Bundestag eröffnete, erklärte er: „Wenn die Europäische Union wirklich funktionierte,“ könnte sie neben den USA, China und Russland „eine Art vierte Weltmacht werden“.
Alle, die den Aufstieg der Faschisten, den Militarismus und den damit verbundenen Sozialkahlschlag stoppen wollen und Die Linke aus diesem Grund gewählt haben, müssen mit dieser Partei politisch abrechnen. Im Gegensatz zur Behauptung zahlreicher pseudolinker Tendenzen innerhalb und im Umfeld der Linkspartei gibt es keinen „linken Flügel“, der reformierbar wäre, und keine „Basis“, die nur gegen die Kriegstreiber innerhalb der eigenen Partei rebellieren müsste.
Es gibt nur einen klaren Schluss: Wer gegen Krieg und Faschismus kämpfen will, muss sich bewusst einer internationalen sozialistischen Perspektive zuwenden und die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP), die deutsche Sektion der Vierten Internationale, als neue revolutionäre Führung in der Arbeiterklasse aufbauen.