Perspektive

80 Jahre nach Kriegsende ist die Weltkriegsgefahr so groß wie nie

Das nach dem Krieg zerstörte Brandenburger Tor [Photo by Bundesarchiv, B 145 Bild-P054320 / Weinrother, Carl / undefined]

Die Feierlichkeiten zum 80. Jahrestags des Kriegsendes finden inmitten der Rückkehr von Krieg und Faschismus statt. Noch nie seit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht war die Gefahr eines dritten Weltkriegs so groß wie heute. In den USA sitzt ein faschistischer Präsident im Weißen Haus, der sich nicht an die Verfassung gebunden fühlt und bisherigen Verbündeten wie Gegnern den Krieg erklärt. Allein im letzten Jahr wurden die weltweiten Rüstungsausgaben um fast zehn Prozent auf schwindelerregende 2,7 Billionen US-Dollar gesteigert.

In Deutschland nimmt das besonders explosive Formen an. Als die Oberbefehlshaber der Wehrmacht in der Nacht zum 9. Mai 1945 die Kapitulation in Berlin ratifizierten, lag die Stadt in Trümmern. Die deutsche Armee war vernichtend geschlagen. In den Ruinen fanden die alliierten Soldaten Unmengen an Zeugnissen der Menschheitsverbrechen, die die Nazis verübt hatten. Wenige Tage zuvor hatten sich den Rotarmisten Bilder des abgrundtiefen Schreckens geboten, als sie das bei Berlin gelegene Konzentrationslager Sachsenhausen und das Strafgefängnis Berlin-Plötzensee befreiten, in dem tausende Widerstandskämpfer hingerichtet worden waren.

Insgesamt sind dem Zweiten Weltkrieg 70 bis 85 Millionen Menschen zum Opfer gefallen, davon bis zu 55 Millionen Zivilisten. Allein 27 Millionen Sowjetbürger wurden durch den Vernichtungskrieg der Nazis getötet und sechs Millionen Juden industriell vernichtet. Nach diesen Gräueltaten und seiner vernichtenden Niederlage waren den Weltmachtambitionen des deutschen Imperialismus enge Grenzen gesetzt. Noch im Zwei-Plus-Vier-Vertrag zur Wiedervereinigung verpflichtete sich die Bundesrepublik gegenüber den Siegermächten dazu, das eigene Militär auf 340.000 Soldaten zu reduzieren und für immer auf atomare, biologische und chemische Waffen zu verzichten.

Jetzt streift Deutschland jede Beschränkung ab und setzt ein Aufrüstungsprogramm in Gang, das sich nur mit der Militarisierung vor den beiden Weltkriegen vergleichen lässt. Schon im letzten Jahr war Deutschland bei den Rüstungsausgaben mit 86,5 Milliarden Dollar auf den weltweit vierten Platz aufgestiegen und erstmals seit der Wiedervereinigung an den ehemaligen Siegermächten Frankreich und Großbritannien vorbeigezogen.

Die neue – von allen Bundestagsparteien unterstützte – Regierung von Friedrich Merz, der schon vor den Wahlen mit der faschistischen AfD zusammengearbeitet hat, wird die Aufrüstung nun in astronomische Höhen treiben. 500 Milliarden sind für ein Sondervermögen vorgesehen, um die Infrastruktur kriegstüchtig zu machen. Für die Bundeswehr selbst sind sogar unbegrenzte Kreditaufnahmen möglich und weitere 500 Milliarden Euro in Planung. Die Gesamtsumme von einer Billion Euro entspricht dem doppelten Bundeshaushalt.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat in der vergangenen Woche anlässlich des 70-jährigen Nato-Beitritts Deutschlands einen Vorgeschmack darauf gegeben, wie die herrschenden Eliten diesen Wahnsinn bei den heutigen Feierlichkeiten rechtfertigen werden. Er erklärte unumwunden: „Die wichtigste Aufgabe der neuen deutschen Regierung ist es, unsere Bundeswehr zu stärken“, denn „ein schlecht gerüstetes Deutschland ist heute die größere Gefahr für Europa als ein stark gerüstetes Deutschland“. Für die Bevölkerung sei das „in Anbetracht unserer Geschichte“ schwer zu akzeptieren, müsse aber durchgesetzt werden.

Tatsächlich setzen die militärischen Großmachtambitionen Deutschlands den Krieg auf die Tagesordnung. Nachdem die deutsche Regierung den rechtsextremen Putsch in Kiew unterstützt, die Ukraine aufgerüstet und damit den Konflikt mit Russland bewusst provoziert hat, bereitet es sich jetzt auf eine direkte militärische Konfrontation mit der Nuklearmacht vor. Der alte und neue Verteidigungsminister Boris Pistorius erklärte bereits im Januar 2023, dass Deutschland innerhalb von drei bis fünf Jahren fähig sein müsse, einen Krieg gegen Russland zu gewinnen.

80 Jahre nach dem Vernichtungskrieg planen die deutschen Eliten wieder Krieg gegen Russland. Sie verfolgen dabei die alten historischen Ziele: Sie wollen Osteuropa beherrschen, die Ukraine plündern und Russland unterwerfen, um sich ihre Rohstoffe und Absatzmärkte einzuverleiben.

Weil die Bevölkerung diese räuberische Politik angesichts der Erfahrungen von Faschismus und Krieg ablehnt, geht die Aufrüstung mit einer ohrenbetäubenden Kriegspropaganda und einem Umschreiben der Geschichte einher. Schon im Jahr 2014 hatte der Osteuropa-Historiker Jörg Baberowski erklärt, dass Hitler nicht grausam und die Vernichtungslager eine Erfindung Lenins gewesen seien. Mittlerweile ist seine Geschichtsfälschung Mainstream. Vertreter Russlands werden von den offiziellen Feierlichkeiten ausgeschlossen und Hitlers Krieg gegen Sowjetunion wird immer offener verteidigt.

In zynischer Weise rechtfertigen die Propagandisten Deutschlands Unterstützung für Israels schrecklichen Völkermord an den Palästinensern mit Verweis auf den Holocaust! Zugleich wird die faschistische AfD immer offener in den Politikbetrieb integriert und ihr Programm von der Bundesregierung verwirklicht.

Der Rüstungswahnsinn geht weit über Revanchismus gegenüber Russland hinaus. Die deutschen Ambitionen erstrecken sich über den gesamten Globus. Im Koalitionsvertrag kündigen CDU und SPD an, „die strategischen Interessen in der Region des Nahen und Mittleren Ostens“ stärker wahrzunehmen, dem „russischen und chinesischen Einfluss in Afrika“ entgegenzutreten und „strategische Partnerschaften mit den Staaten Lateinamerikas und der Karibik“ auszubauen. Ferner sei eine „stabile, freie und sichere Indo-Pazifik-Region von elementarem Interesse“. China werde man „mit Selbstbewusstsein und eigener Stärke gegenübertreten“.

Dieses Weltmacht-Programm bringt Deutschland unweigerlich wieder in Konflikt mit den Vereinigten Staaten. Trumps aggressive Wirtschaftspolitik gegen Europa und insbesondere Deutschland ergibt sich direkt aus seinen Plänen, die amerikanische Welthegemonie angesichts des ökonomischen Niedergangs mit Krieg und Handelskrieg zu verteidigen.

Wie vor dem Zweiten Weltkrieg spitzen sich die Konflikte zwischen den Großmächten immer weiter zu. Der große Revolutionär Leo Trotzki brachte das am Vorabend des Kriegs treffend auf den Punkt:

Dieselben Faktoren, die den letzten imperialistischen Krieg hervorgerufen haben und die vom heutigen Kapitalismus untrennbar sind, entfalten gegenwärtig ungleich größere Kraft als Mitte 1914. Nur die Furcht vor den Folgen eines neuen Krieges bremst gegenwärtig noch den Drang des Imperialismus zum Kriege. Doch ist die Kraft dieser Bremse begrenzt. Die Spannung der inneren Widersprüche stößt ein Land nach dem anderen auf den Weg des Faschismus, der sich wiederum nur an der Macht halten kann, indem er sich anschickt, internationale Explosionen auszulösen. Alle Regierungen fürchten den Krieg, doch keine einzige hat die freie Wahl. Ohne proletarische Revolution ist ein neuer Weltkrieg unvermeidlich.
Leo Trotzki, „Der Krieg und die IV. Internationale“, 1934

Diese Fragen wurden durch die Niederlage Deutschlands nicht gelöst. Die amerikanische Vormacht konnte die imperialistischen Gegensätze in der Nachkriegszeit zwar moderieren, doch sie begann schon in den 1970er Jahren zu bröckeln. Als mit der Auflösung der Sowjetunion große Teile des Globus dem Kapital wieder zugänglich wurden, spitzen sich die alten Konflikte zu, die jetzt eine neue Qualität erreichen. Es sind die gleichen Widersprüche, die zu den beiden Weltkriegen geführt haben, wie David North in seinem Beitrag zum diesjährigen May Day erklärte:

Die wesentlichen Ursachen für den Abstieg in die politische Barbarei und einen katastrophalen Weltkrieg sind die gleichen wirtschaftlichen und sozialen Widersprüche des kapitalistischen Systems, die im letzten Jahrhundert zu Krieg und Faschismus führten. Diese miteinander verbundenen Widersprüche sind erstens die Unvereinbarkeit der Weltwirtschaft mit dem kapitalistischen Nationalstaatensystem und zweitens der zerstörerische Charakter des kapitalistischen Privateigentums an den Produktivkräften, kontrolliert von geldgierigen Oligarchen, im Widerspruch zur gesellschaftlichen Produktion, die die Arbeit von Milliarden Menschen umfasst, der internationalen Arbeiterklasse.

Nur diese gesellschaftliche Kraft, die den ganzen gesellschaftlichen Reichtum schafft und die gesamte Last von Krieg und Krise zu tragen hat, ist in der Lage, eine erneute Katastrophe zu verhindern. Arbeiter müssen dem wachsenden Nationalismus, dem Krieg und Handelskrieg, der auch von den Gewerkschaften unterstützt und vorangetrieben wird, die internationale Einheit der Arbeiter entgegensetzen. Sie müssen die abstoßende Instrumentalisierung der Feierlichkeiten für die Wiederbelebung des Militarismus und die üblen Geschichtsfälschungen zurückweisen und ihr eigenes Gedenken an die Schrecken des Weltkriegs entwickeln: Es ist der Kapitalismus, der in die Barbarei führt, und nur sein Sturz durch eine Massenbewegung der Arbeiterklasse für eine sozialistische Weltrepublik kann dies verhindern.

Deshalb ist der Aufbau der Sozialistischen Gleichheitspartei und des Internationalen Komitees der Vierten Internationale die dringendste Aufgabe. Schon als die Regierung 2014 das „Ende der militärischen Zurückhaltung Deutschlands“ verkündete, warnte die SGP vor der Rückkehr des deutschen Militarismus und deckte die Geschichtsklitterung auf, mit der diese gerechtfertigt wurde. So wie Trotzki aufgrund seines marxistischen Verständnisses der Weltsituation vor dem Zweiten Weltkrieg warnte, schlagen wir Trotzkisten heute Alarm. Und es bleibt dabei: Ohne proletarische Revolution ist ein neuer Weltkrieg unvermeidlich.

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