Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz ist am Dienstag erst im zweiten Wahlgang zum deutschen Bundeskanzler gewählt worden. Und dies nur dank der Hilfe der Linkspartei und der Grünen. Im ersten Wahlgang war Merz gescheitert, weil nur 310 der 328 Bundestagsabgeordneten der Regierungskoalition aus Union und SPD für ihn stimmten. Für die Wahl waren 316 Stimmen erforderlich, die Mehrheit aller Abgeordneten.
Etwas Ähnliches hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben. Bisher wurden sämtliche Bundeskanzler im ersten Wahlgang gewählt. Doch obwohl CDU, CSU und SPD sich in wochenlangen Verhandlungen auf einen 144-seitigen Koalitionsvertrag geeinigt haben, der von den zuständigen Parteigremien verabschiedet wurde, gelang es Merz nicht, die nötige Zahl von Abgeordneten hinter sich zu bringen.
Damit der zweite Wahlgang noch am selben Tag stattfinden konnte, war Merz auf die Unterstützung der Linkspartei und der Grünen angewiesen. Beide zeigten sich entschlossen, ihm so schnell wie möglich ins Amt zu verhelfen, damit er die Lage stabilisieren und das rechte Koalitionsprogramm verwirklichen kann.
Die Geschäftsordnung des Bundestags sieht für den zweiten Wahlgang eine Frist von drei Tagen vor, die nur durch zwei Drittel der Abgeordneten verkürzt werden kann. Die Linke und die Grünen brachten gemeinsam mit den Regierungsparteien einen entsprechenden Antrag ein, dem am Ende auch die AfD zustimmte. Im zweiten Wahlgang votierten dann 325 Abgeordnete für Merz, der am Abend als Bundeskanzler vereidigt wurde.
Der Fehlstart der Merz-Regierung wirft ein grelles Licht auf die wirklichen politischen Verhältnisse in Deutschland. Seine Regierung ist nicht nur die rechteste, sondern auch die unpopulärste seit dem Zweiten Weltkrieg.
Im Zentrum des Koalitionsvertrags steht das umfassendste Aufrüstungsprogramm seit Hitler, eine „grundlegende Wende“ in der Migrationspolitik nach dem Vorbild der AfD, der Aufbau eines Polizeistaats und ein massiver Sozialabbau, mit dem die Kosten von Krieg und Handelskrieg auf die arbeitende Bevölkerung abgewälzt werden.
Dieses Programm hat in der Bevölkerung keine Unterstützung. Die Union erzielte in der Bundestagswahl das zweitschlechteste und die SPD das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte. Zusammen erhielten sie nur 45 Prozent der Stimmen, und seither haben sie in den Umfragen weitere 7 Prozent verloren. Laut einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen begrüßen nur 38 Prozent die Wahl von Merz zum Kanzler, 56 Prozent lehnen sie ab.
Doch diese Opposition findet in der offiziellen Politik keinen Ausdruck. Die AfD bietet Merz bei jeder Gelegenheit an, sein rechtes Programm gemeinsam mit ihr statt mit der SPD umzusetzen. Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Bernd Baumann, begründete deren Zustimmung zum vorgezogenen zweiten Wahlgang mit den Worten: „Deutschland braucht eine Regierung.“
Noch deutlicher haben die nominell „linken“ Oppositionsparteien ihre Unterstützung für Merz und sein reaktionäres Programm zur Schau gestellt. Kaum zeichnete sich das Wahldebakel ab – und begannen die Aktienkurse zu sinken –, vergaßen sie ihre gelegentliche Kritik an Merz und eilten ihm zu Hilfe.
Ein Kommentar, der kurz nach dem ersten Wahlgang auf Zeit Online erschien, fasst die Haltung dieses Milieus zusammen: „Die Weltordnung wankt, und Deutschland ist weiterhin ohne Regierung. Das ist schlicht und einfach: fatal.“
Die Grünen-Politikerin Renate Künast bezeichnete die Schwächung von Merz als „Donnerschlag fürs ganze Land“. Katrin Göring-Eckardt schrieb: „Das ist nicht gut.“ Auch wenn sie den Kanzler nicht unterstütze, könne sie „nur alle warnen, sich über Chaos zu freuen“.
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Britta Haßelmann, bedauerte, dass „das Vertrauen in Merz und Klingbeil erschüttert“ sei. Das Schlimmste, was diesem Land jetzt passieren könne, seien Neuwahlen. Ihre Kollegin Katharina Dröge fügte hinzu: „Deutschland braucht eine stabile Regierung.“
Von den Grünen hat man nichts anderes erwartet. Sie waren in der Regierung von Olaf Scholz die heftigsten Befürworter der militärischen Aufrüstung, des Kriegs gegen Russland und des Genozids an den Palästinensern. Sie sind nur deshalb nicht Teil der neuen Regierung, weil sie für eine Mehrheit nicht gebraucht werden. Die scheidende Außenministerin Annalena Baerbock unterhielt sich im Bundestag sichtbar gutgelaunt mit ihrem Nachfolger, dem CDU-Politiker Johann Wadephul. Sie selbst wird die neue Regierung bei der UNO in New York vertreten, wo sie für ein Jahr die Generalversammlung leitet.
Auch Die Linke, die im März bereits die Kriegskredite von Union und SPD im Bundesrat unterstützt hatte, reagierte mit sichtbarer Sorge auf Merz‘ Wahlniederlage. Parteichef Jan van Aken erteilte ihm gute Ratschläge. Wenn Merz nicht einmal das Vertrauen seiner eigenen Leute bekomme, „wie soll er dann das Vertrauen der Menschen gewinnen, die mit den realen Problemen des Alltags kämpfen“, sagte er. Die Co-Vorsitzende Ines Schwerdtner erklärte: „Es liegt jetzt an der CDU, ob sie sich trauen, mit uns zu sprechen.“
Der ehemalige Ministerpräsident Thüringens, Bodo Ramelow, inzwischen Vizepräsident des Bundestags, zeigte sich „ziemlich sauer“ über das Wahldebakel. Die Parteivorsitzenden der geplanten Koalition hätten sicherstellen müssen, dass es nicht zu einem solchen Eklat kommt, rügte er. Ramelow schlug als einer der Ersten einen sofortigen zweiten Wahlgang vor, um Merz aus der Patsche zu helfen. „Wir werden auch als Linke mitwirken, dass die Zweidrittelmehrheit zustande kommt,“ sagte er.
Die wichtige Rolle, welche Die Linke bei Merz‘ Wahl zum Kanzler spielte, wird auch vom Spiegel anerkannt. Eine von sechs Lehren, die das Nachrichtenmagazin „aus dem Stolperstart von Merz“ zieht, lautet: „Es wird nicht das letzte Mal sein, dass die schwarz-rote Koalition auf die Zustimmung der Truppe um Heidi Reichinnek angewiesen ist. Merz hat Anlass, jetzt ernsthaft darüber nachzudenken, das Kooperationsverbot zur Linken zu kippen. Es ist nicht mehr zeitgemäß.“
Der neue, ultrarechte Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) sieht dies ähnlich. „Heute war relativ klar, wenn man eine Zweidrittelmehrheit haben will, dann muss man auch einen Anruf bei den Linken tätigen,“ sagte er. „Da, wo Zweidrittelmehrheiten gebraucht werden, wird man das auch in Zukunft noch tun müssen, egal ob einem gerade die politische Farbe an dieser Stelle besonders passt.“
Es ist nicht bekannt, welche 18 Abgeordneten der Regierungsparteien Merz im ersten Wahlgang die Stimme versagten und was ihre Gründe waren. Die Abstimmung ist geheim. Es ist aber klar, dass die Merz-Regierung äußerst schwach und innerlich zerrissen ist.
Breite Teile der Arbeiterklasse und der Jugend werden unweigerlich mit ihr in Konflikt geraten, wenn sie die Gesellschaft militarisiert, die Wehrpflicht wieder einführt, politische Gegner unterdrückt, Sozialausgaben und Löhne kürzt und im eskalierenden Handelskrieg zehntausende Arbeitsplätze abbaut.
Dieser Widerstand kann nur Erfolg haben, wenn er sich auch gegen Die Linke richtet, die keine Opposition, sondern ein linkes Feigenblatt für die Merz-Regierung ist. Er muss der nationalistischen Migrationspolitik der Regierung die internationale Einheit aller Arbeiter entgegenstellen und die Ablehnung von Krieg und Militarismus mit dem Kampf für die Enteignung der Superreichen verbinden, deren Interessen der ehemalige Chef von Blackrock-Deutschland und seine Regierung vertreten.