Arm und Reich in Deutschland: Die soziale Schere klafft immer weiter auseinander

Vor der Amtsübernahme der Merz-Regierung klafft die soziale Schere in Deutschland weit auseinander. Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP, die sich gern als „Mitte-Links-Regierung“ bezeichnete, hat die Umverteilung der Einkommen und Vermögen genauso brutal vorangetrieben wie ihre Vorgänger unter Angela Merkel (CDU) und Gerhard Schröder (SPD). Der aktuelle Paritätische Armutsbericht zeigt eine verheerende Bilanz.

Laut dem Bericht leben in Deutschland 13 Millionen Menschen unter der Armutsgrenze. Der Anteil der Armen an der Bevölkerung ist im letzten Jahr erneut um 1,1 auf 15,5 Prozent gestiegen. Berücksichtigt man die ständig steigenden Mieten, ist mittlerweile mehr als jeder fünfte Einwohner Deutschlands von Armut bedroht.

Gleichzeitig nimmt die Zahl der Milliardäre und Superreichen zu. Laut einem neuen Oxfam-Bericht sind die CEO-Gehälter weltweit in fünf Jahren um 50 Prozent angewachsen, 56-mal mehr als die durchschnittlichen Reallöhne der Beschäftigten. In Deutschland sind die Topmanagergehälter im Median auf 4,4 Millionen Euro gestiegen – 30-mal so stark wie die Reallöhne aller Angestellten.

Eine winzige Minderheit von etwa 0,6 Prozent der Bevölkerung besitzt heute in Deutschland 45 Prozent des Gesamtvermögens. Mehr und mehr erinnert vieles an die Zustände vor der französischen Revolution, als Jean-Jacques Rousseau vor 270 Jahren schrieb:

Sind nicht alle Vorteile der Gesellschaft zugunsten der Mächtigen und Reichen? Sind nicht alle einträglichen Berufe von ihnen allein besetzt? Sind ihnen nicht alle Gunstbezeigungen und alle Steuerfreiheiten vorbehalten? (…) Wie verschieden davon das Bild der Armen! Je mehr ihm die Menschheit schuldet, desto mehr verweigert ihm die Gesellschaft: Alle Tore sind ihm verschlossen.
Jean-Jacques Rousseau, „Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit“, 1755

Die Gesellschaft verfügt zwar über unerschöpfliche Ressourcen, um die Armut abzuschaffen, aber das Gegenteil passiert: Bei 13 Millionen Menschen reicht das Einkommen nicht mehr aus, damit sie an der Gesellschaft teilhaben können.

Viele ziehen sich zurück, da sie es sich nicht leisten können, einmal im Monat mit Freunden und Familie Essen zu gehen, einen Kinofilm anzuschauen oder an kostenpflichtigen Freizeitaktivitäten teilzunehmen. Sie sind nicht in der Lage, ihre Mieten, Rechnungen und Kreditraten pünktlich zu bezahlen, und können sich weder Urlaub noch PKW leisten. Bei den Alten fehlt oft das Geld für Brille oder Hörgerät; die Jüngeren müssen auch auf so elementare Dinge wie Internet oder Mobiltelefon verzichten. Jede unerwartete Ausgabe wirft die Menschen völlig aus der Bahn. Schneller als gedacht landen sie zum Essen bei der Tafel oder – noch schlimmer – wohnungslos auf der Straße.

Schlange vor einer Tafel in Frankfurt-Höchst [Photo: WSWS]

Besonders von Armut betroffen sind in erster Linie die Arbeitslosen, von denen laut Armutsbericht über 60 Prozent als arm gelten. Daneben fallen folgende Gruppen stark unter das Armutsrisiko:

  • Die 18- bis 25-Jährigen: In dieser Altersgruppe gilt fast jede vierte Person (24,8 %) als arm, und speziell Mädchen und Frauen (26,9 %) sind betroffen. Damit wird gerade die Jugend, diese in jeder Gesellschaft zukunftswichtigste Schicht, vieler Möglichkeiten beraubt, die sie zum Leben und für ihre Entwicklung braucht.
  • Arm sind auch sehr viele Rentner: Knapp jede fünfte Person (19,4 %) ab 65 Jahren ist von Armut betroffen. Auf alle Armen in Deutschland bezogen, machen die Rentner mehr als ein Viertel aus. Auch hier sind wiederum besonders viele Frauen betroffen. Mehr als 21 Prozent aller über 65-jährigen Seniorinnen gelten als arm.
  • Betrachtet man die Haushaltstypen, stechen vor allem die Alleinlebenden (29 %) sowie die Alleinerziehenden (27 %) hervor.
  • Daneben sind Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit stark betroffen; von ihnen gelten rund 30 Prozent als arm.
  • Auch Menschen mit Behinderungen und chronisch Kranke sind sehr oft arm. Ihre Zahl ist nicht besonders aufgeführt, da sie in den 44 % Nicht-Erwerbstätigen enthalten ist.
  • Mit Blick auf die einzelnen Bundesländer sind vor allem Bremen (25,9 %) und Sachsen-Anhalt (22,3 %) von Armut geprägt, etwa jede vierte Person gilt dort als arm. Dabei sind die wirklichen Hotspots der Armut im Bericht nicht einzeln aufgeführt. So weist zum Beispiel Nordrhein-Westfalen eine Armutsquote von 17,4 Prozent auf, während einige Ruhrgebietsstädte – Duisburg (28,5 %), Essen (29,4 %), Dortmund (28,2 %), Gelsenkirchen (sogar 37,9 %) – bei weitem darüber liegen.

Die Zahlen machen deutlich, dass die Schutzwirkung durch Sozialleistungen in letzter Zeit schrumpft. Auch hierfür liefert der Armutsbericht klare Beweise. 2021 konnte die Armutsquote durch staatliche Umverteilung noch um 27,7 Prozentpunkte auf 16 Prozent reduziert werden. Ohne Sozialleistungen hätte sie bei 43,7 Prozent gelegen. 2024 sank die Armutsquote aufgrund der Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 40,6 Prozent, wurde durch Sozialleistungen aber nur noch um 25,1 Prozentpunkte auf 15,5 Prozent gesenkt. Der gesetzliche Mindestlohn hat also die Armut kaum reduziert, sondern nur die Staatskasse entlastet.

Ein Faktor, der die Armut deutlich verschärft hat, ist die Inflation seit Ausbruch der Corona-Pandemie. Der Verbraucherpreisindex ist seit 2020 (=100) bis 2024 um fast zwanzig Prozent (auf 119) angestiegen. Und die Reallöhne sind sogar rückläufig. Im Jahr 2020 schrumpften sie um 1,2 Prozent und im Jahr 2022 sogar um 4 Prozent! Letzteres ist das Ergebnis der Politik der DGB-Gewerkschaften, die aus Rücksicht auf die „deutsche Wirtschaft“ seit Jahren alle Lohnkämpfe sabotieren und damit entscheidend zur Armutsentwicklung beitragen.

Die Armutsschwelle ist derzeit bei 1.381 Euro monatlich für Alleinlebende festgelegt; für eine vierköpfige Familie mit zwei Kindern (unter 14 Jahren) sind es 2.900 Euro. Dies ist jedoch nur die oberste Schwelle, bis zu der Menschen als arm gelten. Sehr viele Arme liegen deutlich unter dieser Schwelle. Im Armutsbericht heißt es dazu: „5,2 Millionen Personen müssen in erheblicher materieller Entbehrung leben. Darunter befinden sich etwa 1,1 Millionen minderjährige Kinder und Jugendliche sowie 1,2 Millionen Vollzeiterwerbstätige.“

Auf die Gesamtzahl aller Armen in Deutschland bezogen beträgt die Zahl der Erwerbstätigen 19,9 Prozent. Mit anderen Worten: jede fünfte arme Person geht einer geregelten Arbeit nach, verdient jedoch zu wenig, um davon leben zu können. Zu dieser Kategorie der Working Poor gehören mehr als zweieinhalb Millionen Menschen.

Und ihre Lage verschlimmert sich: Gleicht man die Entwicklung der Median-Einkommen der Armen mit der Preisentwicklung ab, so zeigt sich, dass die Armen seit 2020 real noch ärmer geworden sind. 2020 verfügten die Armen im Mittel noch über 981 Euro monatlich. 2024 waren es im Schnitt 1099 Euro, was preisbereinigt einem mittleren Einkommen von 921 Euro, also deutlich weniger als vor vier Jahren entspricht.

Im Gegensatz zu diesem Elend zeigt der Oxfam-Bericht, der pünktlich am Vorabend des 1. Mai herauskam, eine völlig andere Welt. Er richtet den Blick auf die Gehälter, Boni und Einkommen der obersten Managerschicht. Wie er aufzeigt, sind die CEO-Gehälter in den letzten fünf Jahren 56-mal so stark gestiegen wie die Reallöhne der abhängig Beschäftigten. Weltweit ist das Median-Durchschnittsgehalt der CEOs um 50 Prozent angestiegen und betrug im Jahr 2024 nicht weniger als 4,3 Millionen US-Dollar.

Für ihre Analyse hat Oxfam die Vergütungspakete von fast zweitausend CEOs in 35 Ländern angeschaut. Darunter waren auch 56 CEOs aus Deutschland, die im letzten Jahr einschließlich Grundgehalt, Boni und Aktienoptionen jeweils mehr als eine Million US-Dollar erhalten hatten. Ihr Median-Gehalt lag 2024 bei 4,4 Millionen Euro, 21 Prozent höher als 2019. Die Reallöhne der Arbeiter und Angestellten waren im selben Zeitraum dagegen nur um 0,7 Prozent gestiegen, 30-mal weniger. Oxfam schreibt:

Der Fehler liegt im System: Während Konzerne auf die Steigerung ihrer Profite für CEOs und Aktionär*innen ausgelegt sind, haben Arbeitnehmende mit stagnierenden Löhnen zu kämpfen und müssen sich tagtäglich fragen, wie sie sich die steigenden Mieten und Preise für Lebensmittel noch leisten können.

Sowohl Oxfam wie der Paritätische bieten in ihren Berichten Rezepte feil, wie die beispiellose und immer schnellere Umverteilung der Einkommen von unten nach oben gestoppt werden könnte. Allerdings sind diese „Lösungsvorschläge“ untauglich.

Oxfam fordert eine Besteuerung der Superreichen, die Einführung höherer Spitzensteuersätze und gerechtere Löhne – verliert aber kein Wort darüber, wie es zu der heutigen extremen Polarisierung gekommen ist. Der Paritätische verweist auf die Schutzwirkung von Mindestlohn, Mietpreisbremse und Sozialstaat und verkündet blauäugig: „Die Bundesrepublik Deutschland hat sich auf internationaler Ebene verpflichtet, Armut aktiv zu bekämpfen.“

Während diese Organisationen die immer schlimmere Realität von Arm und Reich anschaulich darstellen, schließen sie die Augen davor, was wirklich stattfindet: Nach dem Amtsantritt der Trump-Regierung in den USA kommt auch in Deutschland mit Friedrich Merz eine Regierung ins Amt, die sich der kapitalistischen Oligarchie verschrieben hat. Im Interesse der Unternehmer, Aktionäre und Superreichen bereitet diese Regierung Deutschland auf den nächsten großen Krieg und auf massive Angriffe auf die Arbeiterklasse vor. Sie besteht nicht nur aus CDU/CSU- sondern auch aus SPD-Ministern und stützt sich auf die Gewerkschaften, Die Linke und die Pseudolinken.

Schon der Koalitionsvertrag beinhaltet Sozialkürzungen und Angriffe auf die Ärmsten der Gesellschaft, die Bürgergeldempfänger und die Flüchtlinge. Darüber hinaus sind alle sozialen Vorhaben „unter Finanzierungsvorbehalt“ gestellt, d.h. sie werden zwangsläufig dem Rotstift zum Opfer fallen, sobald sich die Krise verschärft oder ein kommender Krieg es angeblich erfordert.

Die einzige Möglichkeit, den Kampf gegen Armut aufzunehmen, besteht darin, die Arbeiterklasse unabhängig zu mobilisieren. Nur im Bund mit der internationalen Arbeiterklasse kann sie ihre sozialen und demokratischen Rechte verteidigen. Das dazu nötige Programm werden das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) und seine deutsche Sektion, die Sozialistische Gleichheitspartei am Samstag auf der internationalen May Day Online Rally vorstellen.

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