Der Vorsitzende der Liberal Party und ehemalige kanadische Zentralbanker, Mark Carney, wird nach dem Sieg seiner Partei bei den Unterhauswahlen am Montag sein Amt als kanadischer Premierminister weiterführen. Die Liberalen haben die für die Parlamentsmehrheit notwendigen 172 Sitzen zwar um drei Sitze verfehlt. Dank der Unterstützung durch die stark geschrumpfte New Democratic Party (NDP) können sie aber weiter regieren.
Carney wird einer extrem rechten Regierung vorstehen, die für einen imperialistischen Weltkrieg aufrüsten, mit den europäischen imperialistischen Mächten beim Krieg gegen Russland zusammenarbeiten und brutale Angriffe auf die demokratischen Rechte der Arbeiter im Inland durchführen wird, um die „Wettbewerbsfähigkeit“ des kanadischen Kapitalismus zu stärken.
Die Liberalen haben angekündigt, die Militärausgaben bis 2030 auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Allerdings fordert ein Großteil der Wirtschaftselite und des nationalen Sicherheitsapparats eine schnelle Erhöhung auf mindestens drei Prozent oder mehr. Selbst die geringere Erhöhung wird schwere Sozialangriffe nach sich ziehen, um die zweistelligen Milliardenbeträge zu decken, die jedes Jahr an zusätzlichen Verteidigungsausgaben notwendig sind.
Als Premierminister Justin Trudeau Anfang Januar zum Rücktritt gezwungen wurde, lagen die Liberalen in den Umfragen um mehr als 20 Prozentpunkte hinter den Konservativen, der offiziellen Oppositionspartei. Doch am Montag gewannen sie unter Carney mit 43,7 Prozent elf Prozentpunkte mehr als in der Wahl von 2021. Die Zahl der Sitze stieg damit von 160 vor vier Jahren auf 169.
Die Tories konnten ihren Stimmenanteil ebenfalls erhöhen. Sie verbesserten sich um 7,5 Prozentpunkte auf 41,5 Prozent und um 25 Sitze auf 144. Aber ihr rechtsextremer Parteichef Pierre Poilievre hat seinen Wahlkreis in Ottawa nicht gewonnen. Seine persönliche Niederlage und das Scheitern der Tories, den noch vor einigen Monaten prognostizierten Erdrutschsieg zu erzielen, zeigt die weit verbreitete Feindschaft unter Arbeitern gegenüber dem Programm von oligarchischer Herrschaft, Diktatur und Krieg, das Trump und Poilievre vertreten. Poilievre wird von Arbeitern und Jugendlichen weithin als Befürworter eines Programms nach dem Vorbild Trumps für Kanada angesehen.
Die beiden großen Parteien konnten ihre Ergebnisse hauptsächlich auf Kosten der sozialdemokratischen NDP und in geringerem Maße des Bloc Québecois verbessern. Zusammen kamen die traditionellen Regierungsparteien der kanadischen herrschenden Klasse erstmals seit 1958 auf über 80 Prozent der Gesamtstimmen.
Die Sozialdemokraten erlitten ein historisches Debakel und büßten sowohl Sitze als auch Stimmen ein. Die Zahl ihrer Sitze sank von 25 im Jahr 2021 auf sieben, was ein entscheidender Faktor für den Sieg der Liberalen war. Ihr Stimmenanteil sank auf nur 6,3 Prozent, knapp ein Drittel der 17,8 Prozent im Jahr 2021.
Der NDP-Vorsitzende Jagmeet Singh trat in der Wahlnacht zurück, nachdem er in seinem Wahlkreis in Burnaby Central in Vancouver mit großem Abstand nur den dritten Platz belegt hatte. Da die Sozialdemokraten über weniger als zwölf Sitze verfügen, verlieren sie zudem den offiziellen Fraktionsstatus als Partei im Unterhaus.
Im Wahlkampf dominierten Trumps Handelskrieg gegen Kanada, Amerikas angeblichem „Freihandelspartner“ im Handelsvertrag USMCA, und seine Drohungen, Kanada durch „wirtschaftlichen Zwang“ zum 51. US-Bundesstaat zu machen – diese Forderung wiederholte er noch am Wahltag. Carney erklärte zu Beginn seines Wahlkampfs, es gehe bei der Wahl darum, die weitere Existenz Kanadas als unabhängiger Staat zu sichern. Alle Parteien, unterstützt von der Gewerkschaftsbürokratie und den Mainstreammedien, haben daraufhin den kanadischen Nationalismus geschürt, um die Arbeiter im Handelskrieg mit den USA vor den Karren des kanadischen Imperialismus zu spannen. Beispielhaft dafür war Singhs Rücktrittsrede am Montagabend, als er zu Beginn erklärte: „Heute Abend sind wir alle im Team Kanada.“
Carney sah sich in seiner Siegesrede am Wahlabend gezwungen, vom Standpunkt der Interessen des kanadischen Imperialismus aus zu erklären, dass die Partnerschaft zwischen Ottawa und Washington sowie die allgemeine kapitalistische Nachkriegsordnung, auf der sie beruhte, zusammengebrochen sind.
Er erklärte: „Wie ich seit Monaten warne, will Amerika unser Land, unsere Rohstoffe, unser Wasser und unseren Staat. Das sind keine leeren Drohungen. Präsident Trump versucht, uns zu brechen, damit Amerika uns besitzen kann.“
Vor der Wahl am Montag hatten sich die Vorsitzenden beider großen Parteien geeinigt, nach der Wahl mit Trump zu verhandeln. Carney erklärte zu seinem Verhandlungsansatz mit Trump:
Wir befinden uns wieder einmal an einem dieser Dreh- und Angelpunkte in der Geschichte. Unsere alte Beziehung zu den Vereinigten Staaten, die auf einer immer stärkeren Integration beruhte, ist vorbei. Das System des offenen Welthandels, das von den USA verankert wurde und auf das sich Kanada seit dem Zweiten Weltkrieg verlassen hat – ein System, das zwar nicht perfekt war, aber unserem Land jahrzehntelang zu Wohlstand verholfen hat – ist vorbei.
Er behauptete, er werde über eine „wirtschaftliche und sicherheitspolitische Beziehung zwischen zwei souveränen Staaten“ verhandeln, fügte aber hinzu, die Verhandlungen mit Trump würden „in dem vollen Bewusstsein geführt werden, dass wir außer den USA noch viele andere Optionen haben, um Wohlstand für alle Kanadier zu schaffen. Wir werden unsere Beziehungen mit zuverlässigen Partnern in Europa, Asien und anderen Teilen der Welt stärken.“
Carney und die herrschende Klasse stehen vor der Aufgabe, der Arbeiterklasse die Kosten für die schwerste Krise des kanadischen und weltweiten Kapitalismus seit dem Zweiten Weltkrieg aufzubürden. Das deutete der liberale Premierminister an, als er erklärte: „Wir werden Dinge tun müssen, die wir bisher für unmöglich hielten, und zwar in einem Tempo, das wir seit Generationen nicht mehr erlebt haben.“
Wie die Gewerkschaften und die NDP dazu beigetragen haben, dass der Zentralbanker Carney und die Liberalen gewählt wurden
Beträchtliche Teile der Arbeiterklasse und der Jugend haben Carney gewählt, um ihre Ablehnung gegenüber Trump zum Ausdruck zu bringen. Trumps Kurs auf eine Präsidialdiktatur in den USA, die Neuordnung der Weltwirtschaft und die Neuaufteilung der Welt im Interesse des US-Imperialismus ist zutiefst unpopulär. Die Gewerkschaften und die NDP haben seit Jahren den Irrglauben kultiviert, die konzernnahen Liberalen würden, im Gegensatz zu den rechten Tories, in irgendeiner Weise die Interessen der arbeitenden Bevölkerung berücksichtigen.
In den letzten drei Jahrzehnten haben die NDP und ihre Unterstützer in den Gewerkschaften die Behauptung verbreitet, die einzige Möglichkeit für Arbeiter, die rechten Tories zu bekämpfen, sei die Wahl von „progressiven Parteien“, d. h. der Liberalen und der NDP. Während die Gewerkschaftsbürokratie die Arbeiterklasse den „linken“ Parteien des kapitalistischen Establishments untergeordnet hat, unterdrückte sie gleichzeitig systematisch den Klassenkampf. Sie hinderte damit die Arbeiter daran, ihre enorme soziale Kraft zu nutzen, um unabhängig politisch einzugreifen und den Angriff der Konzerne auf ihre Löhne, Arbeitsbedingungen und die öffentlichen Dienstleistungen, von denen sie abhängig sind, zurückzuschlagen.
Unifor, der Canadian Labour Congress (CLC) und seine Mitgliedsgewerkschaften haben seit Ende 2021 während einer großen landesweiten und branchenübergreifenden Streikwelle einen Arbeitskampf nach dem anderen sabotiert. Als die Trudeau-Regierung im letzten Dezember infolge des Rücktritts von Finanzministerin Chrystia Freeland implodierte, setzte sich die Postgewerkschaft Canadian Union of Postal Workers (CUPW) über den Willen der Postler hinweg und zwang sie, einer offenkundig illegalen Anordnung der liberalen Regierung Folge zu leisten und an die Arbeit zurückzukehren.
Das Wahlergebnis der NDP verdeutlicht den Bankrott der Strategie, „progressiv“ zu wählen. Angesichts der erklärten Absicht des faschistischen Präsidenten Trump, Kanada zu übernehmen, und einem Demagogen à la Trump an der Spitze der oppositionellen Tories war der größte Nutznießer der Wahl ein Multimillionär, ehemaliger Zentralbanker und Investment-Manager, der sein Leben lang den Interessen der Finanzoligarchie gedient hat.
Die Liberalen, die bevorzugte Regierungspartei der kanadischen Bourgeoisie, konnten ihr Ergebnis auf Kosten der NDP verbessern, vor allem in British Columbia und, in geringerem Maße, in Ontario.
Ein Teil der Arbeiter wurde aber dem rechtsextremen Poilievre in die Arme getrieben. Die Verantwortung dafür tragen die Gewerkschaften, die den Widerstand der Arbeiter gegen Sparpolitik und Krieg systematisch unterdrückt haben. Ihre Komplizin ist die NDP, die eine Unterstützung für „progressive“ Regierungen propagiert. Wie Trump konnte auch Poilievre in gewissem Maße durch demagogische soziale Appelle die Wut der Arbeiter über die Gleichgültigkeit der „Linken“ und „Liberalen“ – in den USA die Demokraten und in Kanada die von der NDP unterstützte Trudeau-Regierung – gegenüber den zunehmenden wirtschaftlichen Missständen ausnutzen.
Die Konservativen gewannen Sitze in traditionellen Industrieregionen wie Windsor und Hamilton (Ontario), die bisher als NDP-Hochburgen galten. Diese Entwicklung wurde dadurch begünstigt, dass Poilievre im Wahlkampf die Unterstützung eines Teils der Gewerkschaftsbürokratie erhielt.
Der Zusammenbruch der NDP ist das Ergebnis ihrer unermüdlichen Unterstützung für die liberale Regierung und deren Kriegs- und Sparkurs, der auch von den Gewerkschaften begeistert mitgetragen wurde. Seit 2019 hat die NDP im Parlament mehrere Minderheitsregierungen der Liberalen im Parlament gestützt. Sie hielt die Liberalen an der Macht, die während der Pandemie im Auftrag der herrschenden Klasse eine Profite-vor-Leben-Politik betrieben, die Militärausgaben massiv erhöhten, eine führende Rolle in dem von den USA und der Nato provozierten Krieg gegen Russland in der Ukraine spielten, Israels Völkermord an den Palästinensern unterstützten, inflationsbedingte Reallohnsenkungen durchsetzten und das Arbeitsrecht „neu interpretierten“, um Streiks per Regierungsdekret zu brechen.
Im März 2022, nur einen Monat nach Russlands Invasion der Ukraine, ging NDP-Chef Singh mit Trudeau ein „Tolerierungs“-Abkommen“ ein, um die Liberalen bis 2025 an der Macht zu halten und die „politische Stabilität“ zu gewährleisten, wie Singh selbst zugab.
Arbeiter müssen gegen Trump und alle rivalisierenden Fraktionen der kanadischen Bourgeoisie kämpfen
Wichtige Teile der Bourgeoisie stellten sich hinter Carney, den sie als erprobten Führer propagierten, weil sie ihn als einen der ihren erachten. Er wird als zuverlässige Person angesehen, um mit Trump eine Einigung zu erzielen und Kanada in eine von Washington angeführte „Festung Nordamerika“ einzubringen, solange seine Rolle als Juniorpartner des US-Imperialismus gebührend anerkannt wird.
Trotz der Drohungen von Trump würde es die kanadische herrschende Klasse vorziehen, die mehr als 80 Jahre währende militärisch-strategische Partnerschaft mit Washington wiederzubeleben und beizubehalten, um ihre globalen imperialistischen Interessen zu verfolgen. Zudem betrachten sie Carneys Erfolgsbilanz als Zentralbanker für die Oligarchie als Garantie dafür, dass er den Arbeitern die Kosten der Krise des Kapitalismus aufbürden wird. Das hat er während seiner kurzen Zeit als Premierminister durch einen scharfen Rechtsruck der Regierungspolitik deutlich gemacht.
In den weniger als zwei Monaten seit seiner Amtsübernahme von Trudeau hat Carney eine geplante Erhöhung der Kapitalertragssteuer ausgesetzt und im Namen des „freien Handels“ zwischen den Provinzen die Abschaffung zahlreicher Arbeitsschutzvorschriften und anderer Beschränkungen für Unternehmer bis zum Canada Day (1. Juli) angekündigt.
Doch die verschärfte Krise des kanadischen Imperialismus spiegelt sich auch darin wider, dass Carneys Rückhalt in den herrschenden Kreisen alles andere als überwältigend ist. Der Globe and Mail, das Sprachrohr der Bay Street, hatte Poilievre am Vorabend der Wahl als bestes Werkzeug gepriesen, um brutale Sparmaßnahmen durchzusetzen und alle regulatorischen Einschränkungen für das Kapital zu beseitigen. Die Konservativen genossen zudem die unerschütterliche Unterstützung eines Großteils der kanadischen Rohstoffbranche, insbesondere der Öl- und Gasbarone aus Alberta.
Die Zerstörung des traditionellen Bündnisses zwischen dem kanadischen Imperialismus und Washington sowie Trumps Drohungen, Kanada zu annektieren, haben die langjährigen regionalen Spannungen innerhalb der herrschenden Klasse verschärft. Sie kamen bereits in der Wahl zum Ausdruck und könnten sich in den kommenden Monaten noch zuspitzen. In Alberta und Saskatchewan, wo die Premiers Danielle Smith und Scott Moe die offizielle „Team Kanada“-Reaktion auf Trump kritisiert haben und auf ein separates Abkommen mit Washington drängen, haben die Konservativen fast zwei Drittel der Stimmen geholt, die Liberalen kaum mehr als ein Viertel.
Während die Liberalen in Québec zu Lasten des separatistischen Bloc Québecois (BQ) zulegen konnten, erhielt der BQ dennoch 22 Sitze und kehrt als drittgrößte Partei ins Parlament zurück. Obwohl sein formeller Verbündeter in der Provinz die oppositionelle nationalistische Parti Québecois ist, hat sich der BQ zum Premier von Québec, Francois Legault, bekannt. Legault und seine rechte Avenir-Québec-Koalitionsregierung hat nachdrückliche Forderungen gestellt, Québecs Interessen in Verhandlungen mit Trump zu berücksichtigen. Er hat außerdem auf die Entwicklung neuer Wirtschaftsbeziehungen mit den europäischen imperialistischen Mächten gedrängt, insbesondere in der Rüstungs- und Mineralienindustrie.
Während diese konkurrierenden und widersprüchlichen Interessen aufeinandertreffen und durch den Druck verstärkt werden, den Washington sicherlich bei Verhandlungen zwischen Trump und Carney ausüben wird, ist eins sicher: Die herrschende Klasse Kanadas wird versuchen, ihre Krise auf die Arbeiterklasse abzuwälzen. Die Finanzoligarchie will die Zerstörung aller demokratischen und sozialen Rechte, die Abschaffung aller regulatorischen Einschränkungen für Unternehmensprofite und Umweltschutz, Steuersenkungen für Unternehmen und eine massive Erhöhung der Militärausgaben, um Kanadas Interessen in der globalen Neuaufteilung der Welt zu sichern.
Carney beabsichtigt, dieses Programm in enger Zusammenarbeit mit den Partnern der Liberalen in den Gewerkschaften umzusetzen, auf die sie sich wie unter Trudeau weiterhin stützen werden, um den Widerstand der Arbeiterklasse abzuwürgen. Dazu erklärte Carney am Montag, er werde sich darauf konzentrieren, „Arbeiter, Unternehmer und die Zivilgesellschaft zusammenzubringen, um die Investitionen für den Aufbau der Nation voranzubringen, die wir für die Umgestaltung unserer Wirtschaft brauchen“.
Unabhängig davon, wie sich die Konflikte zwischen dem amerikanischen und dem kanadischen Imperialismus und innerhalb der regionalen Fraktionen der kanadischen Bourgeoisie in der unmittelbaren Zukunft entwickeln, kann die Arbeiterklasse ihre Interessen nicht verteidigen, indem sie sich hinter eine der Parteien stellt. Die Socialist Equality Party in Kanada schrieb dazu in ihrer Wahlerklärung:
Trump ist eine Bedrohung für die Arbeiter in Kanada und der Welt. Aber die Arbeiter können gegen ihn und alles, was er repräsentiert – Oligarchie, Diktatur und imperialistischen Krieg – nicht erfolgreich kämpfen, wenn sie sich hinter die kanadische Bourgeoisie, ihre rivalisierenden Fraktionen oder politischen Vertreter stellen.
Vielmehr müssen sie ihre unabhängigen Klasseninteressen durchsetzen, indem sie eine Bewegung für die Machteroberung der Arbeiter aufbauen und ihre Kämpfe mit den Massenprotesten gegen Trump verbinden, die jetzt in der amerikanischen Arbeiterklasse entstehen. Die kanadischen Arbeiter müssen ihre amerikanischen Kollegen dabei unterstützen, sich von der Demokratischen Partei zu befreien, die ebenso wie Trumps faschistische Republikaner eine Partei der Wall Street ist, sowie von ihren Verbündeten in den Gewerkschaften.
Die grenzüberschreitende Bewegung muss zur Speerspitze des Kampfs für ein vereintes sozialistisches Nordamerika werden.