Am 19. Januar veranstaltete die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) eine internationale Veranstaltung zum Gedenken an Wolfgang Weber, der am 16. November 2024 verstorben war. Wolfgang war ein herausragender Kämpfer für den Trotzkismus und langjähriges führendes Mitglied der SGP.
Wir veröffentlichen hier den Beitrag von David North, Vorsitzender der Internationalen Redaktion der World Socialist Web Site und nationaler Vorsitzender der Socialist Equality Party (USA).
Genossen,
Es ist gewissermaßen schwierig, sich auf einer Versammlung wie dieser kurz zu halten, insbesondere wenn man versucht, die Bedeutung von Genosse Wolfgangs Leben zu würdigen.
Die Genossen Uli und Christoph haben bereits auf hervorragende Weise über Wolfgangs politische Geschichte berichtet, die ein halbes Jahrhundert umfasste. In einem breiten historischen Sinne ist uns zwar bewusst, dass ein halbes Jahrhundert keine übermäßig große Zeitspanne ist, aber gemessen am Leben eines Menschen ist es eine lange Zeit.
Meine eigene Beziehung zu Wolfgang umfasste fast diese gesamten 50 Jahre. Ich traf ihn 1975 zum ersten Mal an einer Schule der Workers Revolutionary Party (WRP). Er beeindruckte mich sofort als Genosse von immenser intellektueller Tiefe.
Was mich in die Bewegung hineingezogen hatte, war die historische Auseinandersetzung Trotzkis mit der schrecklichsten Ausprägung der Barbarei im 20. Jahrhundert: mit der Machtergreifung des Nazi-Regimes. Die Klarheit, mit der Trotzki und die trotzkistische Bewegung die Bedeutung des Faschismus erklärt hatten, und ihr fortschrittliches Programm, das Hitlers Aufstieg zur Macht hätte verhindern können, überzeugten mich von Trotzkis historischer Bedeutung. Dieses Verständnis war vielleicht sogar ein noch stärkeres Motiv als seine Führungsrolle in der Oktoberrevolution.
Alles, was Peter, Christoph und Uli über die Bedeutung dieser historischen Erfahrung für Wolfgang gesagt haben, ist absolut wahr, und das galt auch für viele andere. Wenn wir über Wolfgangs Geschichte nachdenken, dürfen wir meiner Meinung nach nicht vergessen, dass er seine Arbeit unter Bedingungen geleistet hat, die für die Bewegung in Deutschland äußerst schwierig waren.
Während die britische Bewegung und Gerry Healy den Kampf gegen den Pablismus und für die Verteidigung des Trotzkismus geführt hatten, befand sich die Workers Revolutionary Party (WRP), als Wolfgang der Bewegung beitrat, bereits im Niedergang.
Ein besonders beunruhigender Aspekt dieses politischen Rückzugs war die Haltung der WRP gegenüber der Sektion in Deutschland. Dafür mag es viele Gründe geben, doch seltsamerweise betrachteten sie jede ernsthafte Diskussion über die Geschichte Deutschlands als Ausdruck von Pessimismus. Sie schienen zu glauben, dass die Auseinandersetzung mit den Erfahrungen der 1930er und 1940er Jahre, den Katastrophen dieser Zeit, irgendwie im Widerspruch zu der These stünde, dass die Arbeiterklasse „unbesiegt“ sei.
Nur einmal wurde ich Zeuge, wie Healy dieses Thema in angemessener Weise behandelte. Das war 1973 an einer Schule in den Vereinigten Staaten und Kanada, als er warnte: „Wir werden nicht noch einmal zulassen, dass die Blüte der Arbeiterklasse zerstört wird.“ Doch die politische und historische Klärung, die für die Entwicklung der deutschen Bewegung notwendig war, wurde nicht vorgenommen. Die deutschen Genossen, jung und unerfahren, aber voller Entschlossenheit, waren sich der tragischen Geschichte Deutschlands und der Bedeutung des Faschismus durchaus bewusst. Aber die erforderliche politische und theoretische Arbeit wurde nicht gefördert, was für sie außergewöhnlich schwierige Bedingungen schuf.
Ich spürte, dass dies einer scheinbar feindseligen Haltung von Healy, Banda und Slaughter gegenüber dem Genossen Wolfgang zugrunde lag, die ich nie verstehen konnte. Wann immer ich mit Wolfgang sprach, war ich von seinem umfassenden Wissen, seiner politischen Ernsthaftigkeit, seiner Liebe zur Geschichte und seiner fundierten kulturellen Bildung beeindruckt. Einen solchen Genossen zu haben, war für mich eine große Ermutigung.
Erst 1981, als ich Genosse Wolfgang in Essen wieder traf, und insbesondere nach der Spaltung des Internationalen Komitees, wurde eine echte politische Zusammenarbeit mit ihm möglich.
Über Wolfgangs politische Arbeit ist viel gesagt worden. Ich erinnere mich besonders an seine Artikel und Essays, seine Bemühungen, die Natur des ostdeutschen Staates und den Verrat des Stalinismus in der DDR zu erklären. Am meisten Freude bereitete mir die Zusammenarbeit mit Wolfgang in den 2000er Jahren, als er die Initiative ergriff, um gegen die Lügen von Robert Service zu kämpfen.
Zwei Episoden sind dabei besonders hervorzuheben. Die erste war Wolfgangs Rolle bei der Organisation einer Kampagne zur Finanzierung eines Vortrags von Professor Alexander Rabinowitch über die Russische Revolution. Rabinowitch, ein angesehener Historiker in den Vereinigten Staaten, hatte wichtige Werke zur Geschichte der Russischen Revolution verfasst, darunter „Prelude to Revolution“, „Die Sowjetmacht. Die Revolution der Bolschewiki“ und „Die Sowjetmacht. Das Erste Jahr“. Rabinowitch, der viele Stunden mit Wolfgang verbrachte, sagte später, er halte Wolfgang für einen der brillantesten Menschen, die er je getroffen habe.
Wolfgangs tiefes Interesse und Wissen über Rabinowitchs Werk hatten großen Einfluss auf ihn, besonders in jener Zeit, da postmoderne Strömungen, die jede sorgfältige historische Darstellung und marxistische Perspektive ablehnten, Rabinowitchs historischen Ansatz immer mehr an die Seite drängten. Wolfgang spielte für Rabinowitchs Besuch eine enorme Rolle, er begleitete und unterstützte ihn und vertrat die Partei sehr gut.
Ich erinnere mich auch an die Veranstaltung, bei der Alexander Rabinowitch sprach. Sie war so bedeutsam, dass Der Spiegel einen längeren Artikel darüber veröffentlichte. Trotz Sabotageversuchen nahmen mehr als 400 Menschen daran teil. Wolfgangs Ernsthaftigkeit und seine Arbeit im Kampf um die Aufklärung der historischen Fragen des 20. Jahrhunderts, insbesondere der Natur des Faschismus, sind von großer und bleibender Bedeutung.
Ein weiterer wichtiger Beitrag des Genossen Wolfgang war seine Initiative, die Veröffentlichung der Trotzki-Biografie von Robert Service in deutscher Sprache zu verhindern. Wolfgang kontaktierte führende Historiker in Deutschland und Österreich und überzeugte sie, sich gegen die Veröffentlichung auszusprechen. Seine Bemühungen bewirkten, dass die Veröffentlichung des Buchs in Deutschland über ein Jahr lang verzögert wurde, und als es schließlich doch erschien, war es weitgehend diskreditiert. Dies war ein großer politischer Sieg für das Internationale Komitee, der unsere intellektuelle Präsenz erheblich gestärkt hat.
Gerade morgen findet eins der entwürdigendsten Ereignisse der amerikanischen Geschichte statt: die Amtseinführung eines verurteilten Verbrechers, Gangsters, Scharlatans und gesellschaftlichen Abschaums als Präsident der Vereinigten Staaten. Nur vier Jahre nach seinem Versuch, die Verfassung auf faschistische Weise zu stürzen, wird Donald Trump erneut als Präsident vereidigt. Vor rund 23 Jahren schrieben wir, dass den Vereinigten Staaten ein Rendezvous mit der Katastrophe bevorstünde. Morgen wird dieses Rendezvous stattfinden.
Donald Trumps Präsidentschaft markiert den Anfang vom Ende des amerikanischen Kapitalismus. Die amerikanische Bourgeoisie verspielt mit diesem Ereignis jegliche politische und historische Glaubwürdigkeit. Verantwortlich dafür sind viele: nicht nur die politische Rechte oder das kapitalistische System, sondern auch der amerikanische Liberalismus, die Demokratische Partei, die Pseudolinken, die feige akademische Community, die Medien und die korrupte Unternehmerschaft.
Nun ist es Aufgabe der Arbeiterklasse, dies zu verhindern, und das wird auch geschehen.
Während wir Genossen Wolfgangs Leben würdigen, müssen wir uns auch unserer historischen Aufgabe bewusst sein. Der Kampf gegen den Faschismus besteht nicht nur darin, die Vergangenheit aufzuklären, sondern unsere Bewegung für die Aufgaben zu mobilisieren, die uns in Zukunft bevorstehen. Hätte Genosse Wolfgang noch ein paar Jahre gelebt, hätte er sich voll und ganz in diesem Kampf eingebracht. Er war ein großer Verfechter des Trotzkismus, ein Verteidiger der historischen Wahrheit, ein unerbittlicher Feind des Kapitalismus und Kämpfer gegen die damit verbundene Barbarei.
Ich verabschiede mich von Genosse Wolfgang und versichere allen, die sein Andenken ehren, dass wir diesen Kampf bis zum notwendigen Ende weiterführen werden.
Lang lebe das Andenken an Genosse Wolfgang Weber.