Merz-Regierung bereitet massiven Sozialabbau vor

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz soll nach den Plänen von CDU, CSU und SPD am 6. Mai zum neuen Bundeskanzler gewählt werden. Voraussetzung ist, dass ein kleiner Parteitag der CDU und die Mitglieder der SPD dem Koalitionsvertrag vorher zustimmen, was als wahrscheinlich gilt. Die CSU hat ihn bereits genehmigt. Der CDU-Parteitag findet am 28. April statt, und das Ergebnis der SPD-Mitgliederbefragung wird am 30. April bekanntgegeben.

Friedrich Merz [Photo by DBT / Tobias Koch]

Während die Vorbereitungen der Regierungsbildung nach Fahrplan laufen, gibt es politisch heftige Spannungen. Vor allem Wirtschaftsverbände und wirtschaftsnahe Zeitungen werfen der zukünftigen Regierung vor, sie schrecke vor Kürzungen bei Renten, Gesundheit und anderen Sozialausgaben zurück und erhöhe diese sogar.

So beklagte die F.A.Z. unter der Überschrift „Vertagte Zukunft“, von einem „echten Aufbruch“ sei im Koalitionsvertrag „wenig zu spüren“. Die Begriffe „Sozialbeiträge“, „Sozialabgaben“, „Lohnneben-“ oder „Arbeitskosten“ kämen darin nicht vor. Viele Themen seien vertagt oder in die Hände von 15 noch zu bildenden Kommissionen gelegt worden.

Die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände hat ausgerechnet, dass allein das im Koalitionsvertrag vereinbarte Festhalten am Rentenniveau von 48 Prozent und die Verbesserung der Mütterrente bis 2031 rund 50 Milliarden Euro kosten werden. „Der Koalitionsvertrag lässt leider jegliche Anstrengungen vermissen, das Ausgabenwachstum in der Rentenversicherung zu begrenzen,“ kritisierte ihr Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter.

Ähnliche Kritik – auch aus den Reihen der zukünftigen Regierungsparteien – findet sich zuhauf.

Der Koalitionsvertrag konzentriert sich vor allem auf drei Ziele: Eine gigantische Steigerung der Rüstungsausgaben, die Übernahme der faschistischen Flüchtlingspolitik der AfD und die Errichtung eines Polizeistaats, um jede Opposition zu unterdrücken. Hier sind sich Union und SPD einig. In der Frage des Sozialabbaus halten sie sich dagegen auffallend zurück. Sie legen sich lediglich auf konkrete Kürzungen beim Bürgergeld und Einsparungen und Stellenabbau in der Bundesverwaltung fest. Ansonsten beschränken sie sich auf allgemeine fiskalische Ziele.

Der Grund ist nicht, dass sie keine entsprechenden Kürzungen planen. Merz‘ CDU war noch im Wahlkampf für eine „Wirtschaftswende“ und eine strikte Einhaltung der Schuldenbremse eingetreten, und die SPD ist seit Gerhard Schröders Agenda 2010 für massive soziale Einschnitte verantwortlich. Beide Parteien halten es aber nicht für ratsam, Sozialkürzungen anzukündigen, bevor die neue Regierung sicher im Amt ist.

Die SPD hat in der Bundestagswahl das schlechteste und die Union das zweitschlechteste Ergebnis ihrer Geschichte erzielt. Sie verfügen zusammen nur deshalb über eine knappe Mehrheit der Abgeordneten im Bundestag, weil 14 Prozent der Wähler für Parteien stimmten, die an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert sind. Wäre die Wagenknecht-Partei, der dazu weniger als 10.000 Stimmen fehlten, in den Bundestag eingezogen, bräuchten SPD und Union einen weiteren Koalitionspartner.

Der Koalitionsvertrag selbst enthält viele leere Versprechen wie das Festhalten am gegenwärtigen Rentenniveau, eine Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro und die Erweiterung der Mütterrente auf Frauen, deren Kinder vor 1992 geboren wurden. Doch diese sind nicht ernst gemeint.

Bei der Vorstellung des Vertrags belehrte der SPD-Vorsitzende und mutmaßliche zukünftige Finanzminister Lars Klingbeil Journalisten über den feinen sprachlichen Unterschied zwischen „werden“ und „wollen“. Vereinbart sei eine Maßnahme nur, wenn es heiße, „wir werden“. Stehe im Vertrag dagegen „wir wollen“, sei das eine reine Absichtserklärung. Ansonsten stünden alle vereinbarten Maßnahmen unter Finanzierungsvorbehalt – sie werden also nur verwirklicht, wenn genügend Geld da ist.

Studiert man die Zahlen, ist offensichtlich, dass die kommende Regierung soziale Kürzungen vorbereitet, gegenüber denen sich Schröders Agenda 2010 bescheiden ausnimmt. Zumal sich Union und SPD strikt weigern, die gewaltigen Vermögen und Profite anzutasten, die Banken, Hedgefonds und Milliardäre in den vergangenen Jahren zusammengerafft haben, oder sie auch nur höher zu besteuern. Sie sind entschlossen, der Arbeiterklasse den Preis für die gigantische Aufrüstung aufzubürden.

Die Auswirkungen des Zollkriegs, den US-Präsident Donald Trump angezettelt hat, sind dabei noch gar nicht eingerechnet. Die Bundesregierung hat deshalb die Wachstumsprognose für die deutsche Wirtschaft bereits nach unten korrigiert. Sie wird das dritte Jahr in Folge nicht wachsen. Entsprechend sinken die Steuereinnahmen und wächst das Defizit im Staatshaushalt.

Bereits 2024 betrug die Haushaltslücke von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherung zusammen 104,4 Milliarden Euro, 12,7 Milliarden mehr als im Jahr davor. Die gewaltigen Ausgaben für die Aufrüstung und die Fortsetzung des Kriegs in der Ukraine, für die der Bundestag Kreditermächtigungen über eine Billion Euro bereitgestellt hat, werden das Haushaltsloch weiter vertiefen. Die Regierenden sind entschlossen, dieses Loch auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung zu stopfen. Die Summen, um die es dabei geht, sind riesig.

In der Renten-, der Gesundheits- und der Pflegeversicherung, die ausschließlich aus den sinkenden Realeinkommen der Lohnabhängigen finanziert werden, häufen sich Fehlbeträge im zweistelligen Milliardenbereich. Allein der staatliche Zuschuss zur Rentenkasse müsste deshalb von derzeit 120 auf 150 Milliarden Euro im Jahr steigen. Der Koalitionsvertrag sieht zwar eine Erhöhung staatlicher Zuschüsse vor, doch diese werden dem Finanzierungsvorbehalt zum Opfer fallen, wenn sich die Haushaltskrise weiter verschärft. Die Folge sind steigende Beiträge und sinkende Leistungen.

Ein Grund, weshalb die SPD in der neuen Regierung trotz ihres miserablen Wahlergebnisses gebraucht wird, ist ihre enge Verbindung zu den Gewerkschaften. Zahlreiche führende Gewerkschaftsfunktionäre verfügen über das Parteibuch der SPD. Die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi war früher SPD-Generalsekretärin. Ihr Ehemann, Michael Vassiliadis, ist Vorsitzender der Chemiegewerkschaft IGBCE und seit 44 Jahren SPD-Mitglied.

Die Gewerkschaften spielen seit Jahren eine Schlüsselrolle dabei, Sozialabbau, Reallohnsenkungen und Massenentlassungen durchzusetzen und Widerstand dagegen zu unterdrücken oder in fruchtlosen Protesten verpuffen zu lassen. Doch sie verlieren zusehends an Autorität.

Das ist der Grund, weshalb sich führende Vertreter der Union – und auch der SPD – der AfD zuwenden und diese stärken. Der jahrzehntelange Sozialabbau durch SPD, Grüne und Linkspartei und die Gewerkschaften hat sie zur zweitstärksten Kraft im Bundestag anwachsen lassen. Nun wird die faschistische Partei gebraucht, um die wachsende soziale und politische Opposition einzuschüchtern und zu unterdrücken.

Friedrich Merz hatte bereits im Wahlkampf die sogenannte „Brandmauer“ niedergerissen, als er mit Unterstützung der AfD zwei Anträge zur Migrationspolitik und inneren Sicherheit durch den Bundestag brachte. Vor einer Woche forderte dann Unionsfraktionsvize Jens Spahn, im Bundestag mit der AfD umzugehen „wie mit jeder anderen Oppositionspartei“ auch. Zwei andere CDU-Politiker, die als Minister im Gespräch sind, Johann Wadepfuhl und Mathias Middelberg, unterstützten ihn dabei. Es war ein klares Signal, dass die CDU zu einer Zusammenarbeit mit der AfD bereit ist, falls sich die Krise der SPD verschärfen sollte.

Spahn selbst wird voraussichtlich kein Ministeramt übernehmen, sondern die Unionsfraktion im Bundestag führen. Angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse ist dies eine Schlüsselfunktion, die es dem 44-Jährigen ermöglicht, sich der AfD weiter anzunähern und sich zum Nachfolger von Merz aufzubauen. Viele halten Merz, der trotz seiner 69 Jahre noch nie ein Regierungsamt innehatte, für zu schwach, um den politischen Herausforderungen gewachsen zu sein. Spahn gilt als machthungriger Populist. Er hat eine Lobrede auf Elon Musk gehalten und pflegt Kontakt zum Umfeld Donald Trumps.

Bezeichnenderweise hat auch Carsten Linnemann, ein weiterer aufsteigender CDU-Mann, seinen Verzicht auf ein Ministeramt erklärt. Der langjährige Führer des Wirtschaftsflügels der Union bleibt Generalsekretär der CDU.

Der Rechtsruck der herrschenden Klasse, ihr Angriff auf die sozialen Errungenschaften und demokratischen Rechte der Arbeiterklasse sowie ihre Hinwendung zu Militarismus und Krieg sind internationale Entwicklungen, die in jedem kapitalistischen Land stattfinden. Sie sind ein Ergebnis des Bankrotts des kapitalistischen Systems – der wachsenden sozialen Ungleichheit und der Zunahme imperialistischer Konflikte. Sie können nur durch die unabhängige Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms gestoppt werden.

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