Koalitionsvertrag sieht weitere Militarisierung der Universitäten vor

Ein erklärtes Ziel im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD ist die Militarisierung der Universitäten. „Wir setzen uns dafür ein, dass Hemmnisse, die beispielsweise Dual-Use-Forschung oder auch zivil–militärische Forschungskooperationen erschweren, abgebaut werden“, heißt es im Abschnitt zur Verteidigungspolitik. Darüber hinaus „werden [wir] das Defizit, das es in Deutschland im Bereich der strategischen Sicherheitsforschung gibt, beseitigen und uns für deren Förderung im Sinne eines vernetzten Sicherheitsverständnisses einsetzen“.

Das bedeutet die Umwandlung der Hochschulen in regelrechte Kaderschmieden des deutschen Militarismus. Es ist die Fortsetzung eines Prozesses, der mit der offiziellen Ankündigung der Rückkehr des deutschen Militarismus 2013–2014 begann und insbesondere in den letzten Jahren, seit Beginn des Krieges in der Ukraine, konsequent vorangetrieben wird.

Im Sommer 2024 machte der Vorstand von Desy (Deutsches Elektronen-Synchrotron), Deutschlands größtem Forschungszentrum für Teilchenphysik, eine Ankündigung, die einen Wendepunkt in der Wissenschaftspolitik bedeutet. Er gab nämlich bekannt, dass er die Nutzung seiner Forschung für militärische Zwecke in Betracht ziehe. Das Hamburger Forschungsinstitut Desy, das im Jahr 1959 während des Kalten Krieges gegründet wurde und sich mit Elementarteilchen befasst, hatte sich im Jahr 2013 dem Grundsatz verpflichtet, dass seine Forschung nur „für zivile und friedliche Zwecke“ genutzt werden darf.

Der noch amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte nach Ausbruch des Krieges zwischen Russland und der Ukraine jedoch einen historischen Wendepunkt an und läutete mit seiner „Zeitenwende“ eine neue Ära der Aufrüstung und Militarisierung ein. Und Desy-Direktor Helmut Dosch folgte diesem Beispiel. Seither hat das Zentrum Desy die Zusammenarbeit mit russischen Forschern beendet und den Kontakt zu russischen Kollegen untersagt. Und 2024 begann der Vorstand mit der Arbeit an einem Grundsatzpapier, das den Ausdruck „zivil“ aus den Leitgedanken des Zentrums streichen soll. Damit würde sogenannte „sicherheitsrelevante“ Forschung möglich, die Dosch als Mittel bezeichnet, um „den Frieden zu sichern“.

Der Spiegel berichtet aus einem Interview mit Dosch: „Um die freiheitliche Demokratie zu bewahren, müsse Deutschland sich gegen Angriffe von außen wehren können, sagt Dosch.“ Er bestehe zwar darauf: „Wir wollen kein Waffenlabor werden“, schließe aber nicht aus, dass die sicherheitsrelevante Forschung künftig im Zusammenhang mit Waffensystemen betrieben werde.

Ein Leopard II-Kampfpanzer wirbt auf der Motor Show in Essen für den Eintritt in die Bundeswehr [AP Photo/Martin Meissner]

Eine große Herausforderung für die Aufrüstungspläne der herrschenden Klasse sind die Zivilklauseln - freiwillige Verpflichtungen, ausschließlich für zivile und friedliche Zwecke zu forschen. Diese Klauseln wurden während des Kalten Krieges als Reaktion auf das Wettrüsten eingeführt. Derzeit haben rund 70 Hochschulen in Deutschland eine solche Klausel freiwillig angenommen. Mehrere Bundesländer haben sie sogar gesetzlich verankert. Doch immer mehr Bundesländer und Institutionen wie Desy heben nun die Klausel wieder auf.

Die Abschaffung der Zivilklauseln ist Bestandteil eines starken Trends zur Militarisierung. Die Blaupause für diesen Trend lieferte 2013 ein Positionspapier der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Darin argumentierte die SWP: „Das Ziel muss eine ‚Denklandschaft’ sein, die nicht nur politische Kreativität ermöglicht und pflegt, sondern auch imstande ist, politische Optionen schnell und in operationalisierbarer Form zu entwickeln.“

Eine solche „politische Option“ ist der Einsatz militärischer Gewalt, und als Teil der erwähnten „Denklandschaft“ werden ausdrücklich die Forschungseinrichtungen und Universitäten bezeichnet. So sollen akademische und Forschungseinrichtungen in den Dienst des deutschen Militarismus gestellt werden.

Im März 2024 veröffentlichte das Bundesministerium für Bildung und Forschung ein Positionspapier, in dem eine Überprüfung der „strikten Trennung zwischen ziviler und militärischer Forschung“ gefordert wurde. Die ehemalige Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) forderte ebenfalls persönlich die Abschaffung der Zivilklausel und begründete dies damit, dass Forschung für die deutsche Sicherheit unverzichtbar sei. Ein Teil ihrer Argumentation war, dass die USA und Israel die erfolgreiche Forschung mit doppeltem Verwendungszweck – Forschung für zivile und militärische Zwecke – bewiesen hätten. Das sind ausgerechnet die beiden Länder, die im Gazastreifen mit deutscher Unterstützung den Völkermord an den Palästinensern verüben.

Ende Dezember verabschiedete das Bundeskabinett die Strategie zur Sicherheit und Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland (SVI-Strategie). Diese Strategie zielt darauf ab, Deutschland auf einen Krieg vorzubereiten. In der Strategie wird festgestellt, dass die derzeitige Trennung zwischen ziviler und militärischer Forschung „Spillover-Effekte verhindern und die Entstehung eines innovativen gesamtstaatlichen Ökosystems hemmen“ könnte. Daher verpflichtet sich die Regierung in der Strategie zu einer „offenen Diskussion über die Zivilklauseln“ mit Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen, um in Wirklichkeit die Klauseln abzuschaffen.

In Bayern verabschiedete der Landtag im Juli 2024 das „Bayerische Bundeswehrgesetz“, das Hochschulen zur Zusammenarbeit mit dem Militär verpflichtet und damit die Zivilklausel praktisch untersagt. Darüber hinaus darf das Militär an Schulen rekrutieren. Dieses Gesetz wurde mit Verweis auf den Krieg in der Ukraine und den Völkermord in Gaza gerechtfertigt und war eine Reaktion auf die Proteste der Studierenden gegen den Völkermord. Das Gesetz stellt einen Verstoß gegen die akademische Freiheit dar und könnte als Blaupause für andere Bundesländer dienen.

Deutschlands führende Parteien sind die treibenden Kräfte hinter dieser Militarisierung. Im Vorfeld der Bundestagswahl 2025 wurden die Forderungen nach einer Abschaffung der Klausel immer lauter. Friedrich Merz, Kanzlerkandidat der CDU/CSU, hatte sich schon 2022 für die Aufhebung der Zivilklauseln stark gemacht. Die CDU/CSU und die FDP haben die Abschaffung der Zivilklauseln und die Ausweitung der Militärforschung in ihr Programm aufgenommen.

In Bayern haben die CSU, die Freien Wähler und die SPD für die Abschaffung der Zivilklauseln gestimmt. Die CDU fordert dies auch in Bremen, und in Hessen hat die Koalition aus CDU und SPD angekündigt, die Hochschulen bei der Entwicklung sicherheitsrelevanter Forschung zu unterstützen und ihnen gleichzeitig dabei zu helfen, die Zivilklausel loszuwerden. In Nordrhein-Westfalen, wo mehrere Hochschulen die Zivilklausel trotz ihrer Aufhebung im Jahr 2019 freiwillig weiter beibehalten haben, fordert die AfD die Landesregierung auf, ihre Abschaffung durchzusetzen. Der Kanzlerkandidat der Grünen, Robert Habeck, behauptete ebenfalls, die „strikte Trennung zwischen militärischer und ziviler Nutzung und Entwicklung“ sei zu überdenken.

Was Die Linke betrifft, so hat sie sich offiziell für die Beibehaltung der Zivilklauseln ausgesprochen. Sie hat jedoch im Bundesrat für das massive Aufrüstungspaket von CDU/CSU und SPD gestimmt und damit deutlich gemacht, wo sie wirklich steht.

Forderungen nach einer Öffnung der zivilen Forschung für militärische Zwecke kommen auch von internationalen Akteuren. Im Januar 2024 veröffentlichte die EU-Kommission ein „Weißbuch“, in dem sie Forschungsprogramme mit doppeltem Verwendungszweck, also die Kombination von Forschung für militärische und zivile Zwecke, unterstützt. Das EU-Forschungsprogramm „Horizont Europa“ wird für Projekte mit doppeltem Verwendungszweck geöffnet. Dieses Programm schüttet auch Gelder an Nicht-EU-Länder wie Israel aus, deren Universitäten in enger Verbindungen zum Militär stehen.

Die Zivilklauseln werden bereits seit langem umgangen. In Nordrhein-Westfalen forschten Universitäten bereits vor der Aufhebung der Zivilklausel (2019) für militärische Zwecke. Darüber hinaus erhalten mehrere Universitäten in Deutschland Gelder vom US-Verteidigungsministerium. Obwohl sich die Universität Bremen freiwillig zur Zivilklausel verpflichtet hatte, waren zwischen 2003 und 2011 mehr als zwei Dutzend ihrer Projekte mit Unternehmen verbunden, die in Verbindung zum Militärsektor stehen. Eins dieser Projekte, das zu Meteoriten forschte, wurde vom Pentagon finanziert. Heute werden die Zivilklauseln jedoch frontal angegriffen, da die Regierung Deutschland auf einen Krieg vorbereitet.

Gleichzeitig nimmt die rechte Ideologie an den Universitäten seit Jahren zu, angefangen bei Professor Jörg Baberowski, der Hitler als „nicht grausam“ bezeichnete, und Professor Herfried Münkler, der die Rolle Deutschlands im Ersten Weltkrieg herunterspielte.

Die Bestrebungen zur Abschaffung der Zivilklausel stoßen in weiten Teilen der Bevölkerung auf Ablehnung. So haben sich beim Desy Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter dem Namen „Science4Peace@Desy“ organisiert. Der Initiator, der emeritierte Physiker Hannes Jung, argumentiert: „Viele Menschen arbeiten am Desy gerade deswegen, weil sie keine Militärforschung machen möchten.“ Nun fühlen sich diese Wissenschaftler  in ihrer akademischen Freiheit bedroht. Rund 300 von ihnen haben eine Petition gegen die Aufhebung der Zivilklausel unterzeichnet.

Die Gewerkschaft für Bildung und Wissenschaft (GEW) unterstützt diese Petition und hat sich gegen Forderungen nach einer Verknüpfung von ziviler und militärischer Forschung ausgesprochen. Dies kann jedoch nur als Lippenbekenntnis gewertet werden, das der GEW dazu dienen soll, die Kontrolle über den Widerstand zu behalten und ihn letztendlich zu unterdrücken. In Wirklichkeit unterstützt die GEW, wie der gesamte DGB, die neue Kriegsregierung und hat in einer Erklärung behauptet, der Koalitionsvertrag zwischen der Union und der SPD beinhalte „eine Reihe positiver Ansätze“. Die Regierung müsse nun „liefern und nachlegen“.

Vor allem unter Studierenden wächst der Widerstand gegen den Missbrauch ihrer Hochschulen für militärische Zwecke. An mehreren Universitäten haben Studierende für Zivilklauseln protestiert oder Veranstaltungen organisiert. An der Humboldt-Universität in Berlin hielten Studierende eine Vollversammlung ab, auf der sie ihre Ablehnung der zunehmenden Militarisierung zum Ausdruck brachten. Das studentische Parlament verabschiedete eine Resolution der IYSSE, die sich ausdrücklich gegen die Militarisierung der Universität wendet.

Die Resolution stellt den Zusammenhang zwischen Sozialabbau und Aufrüstung her und ruft die Studierenden dazu auf, sich mit der Arbeiterklasse zu verbünden. Studierende, Forschende und Arbeitende müssen sich zusammenschließen und gemeinsam gegen die Militarisierung und die Abschaffung der Zivilklausel kämpfen. Der einzige Weg, diese Entwicklungen zu stoppen und eine Eskalation der aktuellen Konflikte zu einem dritten Weltkrieg zu verhindern, ist die Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus. Dies muss auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms geschehen.

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