Am Donnerstag, den 17. April, fand die Kundgebung „Defend the #Berlin4! Stoppt die Abschiebung von Genozid-Gegnern!“ vor dem Hauptgebäude der Berliner Humboldt-Universität statt. Der Protest, zu dem die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) und die Studierendenvertretung (AStA) der Alice-Salomon-Hochschule Berlin aufgerufen hatten, richtete sich gegen die drohende Abschiebung von vier Aktivisten, die gegen den Völkermord in Gaza demonstriert haben. Obwohl sie nicht gerichtlich verurteilt wurden, sind die drei EU- und ein US-Bürger aufgefordert, Deutschland bis zum 21. April zu verlassen. Ansonsten sollen sie zwangsabgeschoben werden. Auch wenn die Abschiebung von einem der Berlin4 jüngst durch eine Gerichtsentscheidung vorübergehend aufgeschoben wurde, sind sie weiter in Gefahr.
Wir dokumentieren hier die Rede, die Katja Rippert im Namen der IYSSE auf der Kundgebung gehalten hat.
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Liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen, liebe Genossen und Freunde,
wir von den International Youth and Students for Social Equality haben heute zu dieser Kundgebung aufgerufen, um eine breite und internationale Unterstützung für die Berlin4, die vier Aktivisten und Genozid-Gegner, zu mobilisieren und ihre drohende Abschiebung zu verhindern.
Der Angriff auf Shane O’Brien, Roberta Murray, Kasia Wlaszczyk und Cooper Longbottom ist ein Angriff auf uns alle!
Denn was ist das vermeintliche Verbrechen, für das sie kriminalisiert werden?
Alle vier haben gegen den Völkermord in Gaza protestiert, der laut offiziellen Zahlen über 50.000 Opfer gefordert hat. Erst vor wenigen Tagen hat die israelische Armee erneut ein Krankenhaus in Gaza-Stadt bombardiert. Laut UN wurden rund 500.000 Menschen – eine halbe Million – im Gazastreifen vertrieben.
Ausgerechnet hier in Deutschland sollen jetzt wieder Menschen deportiert werden, weil sie gegen einen Genozid auf die Straße gehen.
Mit haltlosen Vorwürfen und einem beispiellosen Verfahren, das sonst gegen schwere Straftäter angewandt wird, werden die vier Aktivisten ihrer demokratischen Rechte beraubt.
Diese Repression gegen Kriegsgegner an den Hochschulen und bei den Gaza-Protesten ist nur der Anfang. An den Berlin4 soll ein Exempel statuiert werden, um künftig jede politische Opposition zu unterdrücken.
Die Verfolgung richtet sich gegen die gesamte arbeitende Bevölkerung und Jugend. Erst holen sie protestierende Studierende, Einwanderer, Flüchtlinge. Wer ist als nächstes dran? Streikende Arbeiter? Schüler, die sich der Wehrpflicht widersetzen?
Der Fall ist auch Teil umfassender Angriffe auf Migranten und Geflüchtete in Deutschland. Im Koalitionsvertrag wurde eine drastische Verschärfung der Asylpolitik angekündigt. Flüchtlinge aus Gaza sind bereits im Visier. Deutsche Behörden haben Asylverfahren palästinensischer Schutzsuchender aus Gaza ausgesetzt – mit der zynischen Begründung, die Lage vor Ort sei „unübersichtlich“.
Gestern hat das Bundesverwaltungsgericht die Abschiebung von zwei Geflüchteten nach Griechenland erlaubt, obwohl sie dort unmenschlicher Behandlung, Haft und katastrophalen Verhältnissen ausgesetzt sind. Das hat Auswirkungen auf Tausende Asylverfahren.
Wir müssen diese Angriffe zurückschlagen: Stoppt die Abschiebungen aller Geflüchteten! Nein zur Hetze gegen Migranten! Verteidigt eure eingewanderten Kollegen und Kommilitonen gegen die Abschiebungen!
Der Fall der Berlin4 geht auch weit über die Grenzen Berlins hinaus. Er ist Teil einer internationalen Entwicklung. Weltweit eskaliert der Handelskrieg. Trump bereitet sich mit den neuen Zöllen auf einen Weltkrieg vor. Im Innern errichtet er den Rahmen für eine Diktatur und zerstört sämtliche Sozialprogramme.
An den Universitäten in den USA werden Studierende wie Mahmoud Khalil, die friedlich gegen den Genozid demonstriert haben, festgenommen und inhaftiert.
Die herrschende Klasse in Amerika ebenso wie hier in Deutschland knüpft an die diktatorischen Methoden und das Willensstrafrecht der Nazis an. Das dürfen wir nicht zulassen!
Wir stehen heute an einem historischen Ort. Im April 1933 begann die Selbstgleichschaltung der Universitäten unter den Nazis. Am 10. Mai 1933 verbrannten hier gegenüber – auf dem heutigen Bebelplatz – johlende Nazi-Studenten die Bücher jüdischer und marxistischer Autoren: die Werke von Marx und Engels, die Romane und Gedichte von Heinrich Heine, Thomas Mann, Stefan Zweig und Erich Maria Remarque.
Die Bücherverbrennung von 1933 ist nicht einfach nur ein düsteres Mahnmal der Vergangenheit – sie ist eine hochaktuelle Warnung.
Heute erleben wir, wie ein Polizeistaat aufgebaut wird, um Kriegsgegner und Sozialisten, Geflüchtete und Migranten zu kriminalisieren und mundtot zu machen. Die Meinungsfreiheit wird mit Füßen getreten und Protest gegen den Völkermord niedergeknüppelt.
80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg unterstützt die Bundesregierung einen Völkermord und rüstet wieder militärisch auf wie seit Hitler nicht mehr. Der Bundestag und der Bundesrat haben über eine Billion Euro an Kriegskrediten bereitgestellt.
Der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz will die Ukraine mit deutschen Taurus-Marschflugkörpern beliefern. Diese Drohung gegen Russland ist rücksichtslos und brandgefährlich.
Das Putin-Regime könnte die Lieferung und den Einsatz der Taurus-Waffe als Kriegserklärung verstehen. Wer kann garantieren, dass Moskau darauf nicht mit Angriffen auf deutsche Ziele antwortet?
Dieselben Politiker und Journalisten, die jedes Kriegsverbrechen Israels mit der deutschen Verantwortung für den Holocaust rechtfertigen, kennen keine Skrupel, wenn es darum geht, zum dritten Mal Krieg gegen Russland zu führen.
Sie fördern gleichzeitig das Umschreiben der Geschichte und die Relativierung der Nazi-Verbrechen. Hier an der Humboldt-Universität lehrt der rechtsradikale Professor Jörg Baberowski, der Hitler verharmlost und den Vernichtungskrieg der Nazis gegen die Sowjetunion rechtfertigt.
Die IYSSE kämpfen für den Grundsatz: Wissenschaft statt Kriegspropaganda! Keine Nazi-Verharmlosung und Rüstungsforschung an unseren Universitäten!
Die Bundesregierung und alle kapitalistischen Parteien sowie die Gewerkschaftsführungen sind Komplizen in dieser Kriegspolitik.
Auch die Linkspartei hat der Aufrüstung im Bundesrat zugestimmt, den israelischen Genozid verteidigt und in allen Landesregierungen, wo sie beteiligt ist, rigoros Geflüchtete abgeschoben.
Hier in Berlin haben viele junge Menschen die Linkspartei gewählt, weil sie sich als Gegnerin von Faschismus, sozialer Ungleichheit und Krieg präsentiert hat. Jetzt sind manche enttäuscht und verwirrt. Warum unterstützt die Linke den Genozid? Warum votiert sie für die horrenden Kriegsausgaben?
Es ist Zeit, mit allen Illusionen in die Linkspartei aufzuräumen. An der Linkspartei ist nichts links außer ihr Name. Sie ist eine kapitalistische Partei, die ihre Aufgabe darin sieht, eine wirkliche Bewegung von unten zu kontrollieren und zu unterdrücken.
Das hat sie in der Vergangenheit immer wieder bewiesen. Hier in Berlin können wir ein Lied davon singen. Ihre stalinistische Vorläuferpartei, die SED bzw. PDS, hat in der Wende die Wiedereinführung des Kapitalismus in der DDR und die Abwicklung der Betriebe mitorganisiert.
Im rot-roten Senat von 2001 bis 2011 hat die Linkspartei die Hauptstadt kaputtgespart. Sie ist auch eng in die Rückkehr des deutschen Militarismus eingebunden. Wie alle etablierten Parteien hat auch die Linke mit ihrer arbeiterfeindlichen Sparpolitik der AfD den Boden bereitet.
Nein – wir können den Völkermord in Gaza und die Abschiebung der Berlin4 nicht stoppen, wenn wir an diese Parteien und Regierenden appellieren.
Die staatliche Repression und die Kriegseskalation sind nicht das Ergebnis einer falschen Politik des einen oder anderen Politikers. Sie folgen einer politischen Logik – der Logik des Kapitalismus.
Weltweit können die Regierungen und Finanzeliten ihre Macht und ihren Reichtum nur noch mit autoritären Methoden erhalten.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Sie sitzen auf einem Pulverfass. Überall wächst die Wut über die Kluft zwischen Arm und Reich. Sozialkürzungen und Massenentlassungen stehen bevor. Die Kriegskosten sollen auf die Arbeiter abgewälzt und die jungen Menschen als Kanonenfutter verheizt werden.
Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt diese Kriegspolitik ab. Deshalb greifen die Herrschenden immer offener demokratische Rechte an. Ihre Politik der Repression ist kein Ausdruck von Stärke, sondern von Schwäche. Sie verteidigen mit Händen und Füßen ein Gesellschaftssystem, das gescheitert ist und nur noch Elend und Krieg hervorbringt.
In Gaza sehen wir jeden Tag den Abstieg des Kapitalismus in die Barbarei und Millionen Menschen fragen sich: Wie kann die Kriegsentwicklung endlich gestoppt werden? Wie können Abschiebungen verhindert werden?
Eins ist klar: Nicht durch Druck auf die Regierungen und Unileitungen oder Appelle an die kapitalistischen Parteien! Das ist eine Sackgasse, denn sie verfolgen in den Kriegen objektive wirtschaftliche und geopolitische Interessen.
Wir sagen: Studierende müssen sich auf die Arbeiterklasse orientieren, die einzige revolutionäre Kraft in der Gesellschaft. Der Kampf gegen Völkermord und Krieg wird nicht hier auf dem Campus entschieden, sondern in den Betrieben, an den Häfen und an anderen Arbeitsplätzen weltweit.
Die internationale Arbeiterklasse ist eine gewaltige gesellschaftliche Kraft, die 3,5 Milliarden Menschen umfasst – 55 Prozent mehr als 1991. In Deutschland sind über 45 Millionen Menschen erwerbstätig.
Ob Metaller oder Autoarbeiter, Busfahrer oder Krankenschwester, Paketzusteller oder Erzieherin – die Arbeiterklasse hält tagtäglich die Gesellschaft am Laufen und schafft den ganzen gesellschaftlichen Reichtum. Auch viele Studierende arbeiten nebenher, um die steigenden Mieten und Lebensmittelpreise zu schultern.
Die gefährliche Entwicklung eines dritten Weltkriegs und die Vorbereitung einer Diktatur im Innern können gestoppt werden, wenn die Arbeiterklasse für eine revolutionäre Politik mobilisiert wird und die großen Banken und Konzerne enteignet.
Dass das möglich ist, zeigt ein Schlüsselereignis der Geschichte, an das ich am Ende meines Beitrags erinnern will:
Genau heute vor 108 Jahren, am 17. April 1917, wandte sich der russische Revolutionär Wladimir Lenin mit einer Rede an den Petrograder Sowjet, die als „Aprilthesen“ in die Geschichte einging. Damit bereitete Lenin zusammen mit Leo Trotzki die Machtübernahme der Arbeiterklasse wenige Monate später im Oktober 1917 vor.
Die Oktoberrevolution beendete den Ersten Weltkrieg. Sie bewies, dass die Arbeiter in der Lage sind, das blutige Gemetzel zu stoppen.
Doch der weitere Verlauf der Revolution zeigte auch, dass die Arbeiterklasse erstens eine revolutionäre Partei wie die Bolschewiki brauchte, die politisch vorbereitet ist und die Massenbewegung anführt. Und zweitens, dass die Revolution nur verteidigt werden kann, wenn sie auf dem Programm der Weltrevolution beruht – und nicht auf dem Nationalismus, den Stalin dann vorangetrieben hat.
Heute stehen wir vor der Herausforderung, eine solche revolutionäre Führung in der Arbeiterklasse auf der ganzen Welt aufzubauen.
Dafür kämpfen wir von den International Youth and Students for Social Equality. Als Jugend- und Studierendenorganisation der Sozialistischen Gleichheitspartei sind wir Teil der trotzkistischen Weltbewegung.
Leo Trotzki hat die Perspektive des Internationalismus gegen Stalins reaktionären Nationalismus verteidigt. An diesen Kampf müssen wir heute anknüpfen!
Wir rufen euch auf: Studiert den Marxismus und die Lehren der Geschichte! Kommt zu unserem Büchertisch und diskutiert mit uns über diese Fragen. Werdet aktiv bei den IYSSE, lasst eure Kontaktdaten da und vor allem – unterstützt die Verteidigungskampagne für die Berlin4!
Ihr Schicksal hängt davon ab, dass wir eine revolutionäre Bewegung aufbauen, die gegen den Krieg und seine Wurzel kämpft: den Kapitalismus.
Wie Rosa Luxemburg so treffend sagte, stehen wir heute vor der Alternative: „Sozialismus oder Barbarei“!