Demonstration gegen Abschiebungen von Geflüchteten nach Griechenland

Am Samstag protestierten etwa 400 Demonstranten am Leopoldplatz im Berliner Arbeiterbezirk Wedding gegen die Abschiebungen von Geflüchteten, darunter auch Palästinenser, nach Griechenland. Unter dem Motto „No deportations of Gazans! No deportations of anyone!“ riefen pro-palästinensische Organisationen dazu auf, sich dem „Kampf gegen die unerbittlichen Angriffe Deutschlands auf Migrant*innen und Asylsuchende anzuschließen“.

Kundgebung gegen Abschiebungen und den Gaza-Genozid am Leopoldplatz in Berlin, 12. April 2025 [Photo: WSWS]

Ein großes Polizeiaufgebot war vor Ort, um die Teilnehmer einzuschüchtern. Video- und Fotoaufnahmen zeigen, wie provokativ und aggressiv die Polizei auftrat. Sie nahm im späteren Verlauf der Demonstration nach eigenen Angaben drei Personen vorübergehend fest, weil sie ein rotes Dreieck als Tattoo, Ohrring und als Motiv auf einer Regenbogenflagge trugen. Das Dreieck ist Teil der palästinensischen Flagge, wird aber als angebliches Hamas-Symbol häufig von der Polizei verboten.

Konkreter Anlass des Protests war die drohende Abschiebung eines 34-jährigen Flüchtlings aus Gaza mit ungeklärter Staatsangehörigkeit und eines 32-jährigen Flüchtlings aus Somalia. Ihre Asylanträge wurden zurückgewiesen, weil sie – wie Tausende Geflüchtete auf dem Weg nach Europa – in Griechenland einen internationalen Schutzstatus zuerkannt bekommen hätten. Die Geflüchteten hatten gegen die Ablehnung ihrer Asylanträge geklagt. An diesem Mittwoch, dem 16. April, wird ihr Fall vor dem Bundesverwaltungsgericht in Berlin verhandelt.

Der Protest richtete sich außerdem gegen die drohende Abschiebung der #Berlin4 aufgrund ihrer pro-palästinensischen Aktivitäten. Obwohl sie nicht gerichtlich verurteilt wurden, sind die vier Berliner – drei EU-Bürger und ein US-Bürger – aufgefordert, Deutschland bis zum 21. April zu verlassen. Ansonsten sollen sie zwangsabgeschoben werden.

Ein Team der World Socialist Web Site und der International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) verteilte auf der Demonstration einen Aufruf für die Kundgebung zur Verteidigung der vier Aktivisten am kommenden Donnerstag vor der Berliner Humboldt-Universität.

Beide Fälle – die politisch motivierte Abschiebung von Genozid-Gegnern und die Abschiebungen von Geflüchteten nach Griechenland – hängen eng zusammen. Sie sind Teil einer Politik der Repression, die darauf abzielt, jede Form der Opposition gegen den Genozid, die militärische Aufrüstung und den Sozialkahlschlag zu unterdrücken. Als erstes werden Menschen kriminalisiert, die einen prekären Aufenthaltsstatus und keine deutsche Staatsbürgerschaft haben.

Deutschland arbeitet hier eng mit den Regierungen anderer EU-Staaten wie die griechische Regierung unter der rechten Nea Dimokratia (ND) zusammen, um die Festung Europa auszubauen und Flüchtlinge abzuschrecken und zu deportieren. In ihrem Koalitionsvertrag drohen Union und SPD im Stile der faschistischen AfD damit, die „Rückführungsoffensive [zu] stärken“ und dabei auch die „Herkunfsländer in die Pflicht [zu] nehmen“.

In Griechenland erwartet Geflüchtete eine katastrophale Situation: keine Unterbringung, keine Nahrung, keine materielle Hilfe. Die meisten Flüchtlinge leben dort auf der Straße oder werden über Jahre hinweg in Lager oder Gefängnisse gesperrt. Im Oktober 2024 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die schnelle Abschiebung eines Syrers nach Griechenland im Jahr 2018 für rechtswidrig befunden, weil er dort nach seiner Ankunft inhaftiert wurde.

Die rassistische Gewalt und Misshandlung durch die von Neonazis durchsetzte griechische Polizei gehört für Migranten zum Alltag. Sie werden als billige Arbeitskräfte ausgebeutet und schikaniert. Darüber hinaus droht Geflüchteten eine Kettenabschiebung in ihre Herkunftsländer, wo Kriege toben, Elend und Arbeitslosigkeit vorherrschen oder wie in Gaza mit deutscher Unterstützung ein Völkermord verübt wird.

Aufgrund der verheerenden Lage und unmenschlichen Behandlung galt in Deutschland in den letzten Jahren ein Abschiebestopp nach Griechenland, der allerdings Anfang 2024 aufgehoben wurde. Auf Anfragen von Pro Asyl teilte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Februar mit, dass Menschen aus bestimmten Herkunftsländern, die vermeintlich „menschenrechtskonforme Unterbringung“ zusichern, nach Griechenland abgeschoben würden. Zunächst galt das für Staatsangehörige aus Algerien, Bangladesch, Marokko, Pakistan und Tunesien, hinzu kamen Irak und Iran.

Jetzt sind auch Menschen betroffen, die vor dem Genozid in Gaza geflohen sind. Das BAMF hat Asylverfahren palästinensischer Schutzsuchender aus Gaza seit dem 9. Januar 2024 auf Eis gelegt, mit der Begründung, dass die Lage vor Ort „unübersichtlich“ und „schwer zu bewerten“ sei.

Auf der Website der Bewegung „Palästina Spricht“ wird der aktuelle Fall eines palästinensischen Geflüchteten aus Gaza geschildert:

Der Betroffene wurde bei seinem Vorsprachetermin in der Ausländerbehörde  in Berlin von der Berliner Polizei in Gewahrsam genommen, in die Gefangenensammelstelle gebracht und über Frankfurt/Main in einem Touristenflug in Begleitung von drei Bundespolizisten nach Griechenland abgeschoben. Am Athener Flughafen wurde er von der griechischen Polizei vier Stunden lang in Polizeigewahrsam gehalten, bevor ihm lediglich ein „Europäisches Reisedokument für die Rückkehr illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger“, ausgestellt vom Landesamt für Einwanderung (LEA Berlin) ausgehändigt wurde. Danach wurde er von der griechischen Polizei ohne weitere Identitätsdokumente, ohne Unterkunft, Geld, Nahrung oder sonstige Unterstützung und ohne Adressen von Anlaufstellen in Athen auf die Straße gesetzt.

Das Verfahren gegen die beiden Geflüchteten, das am Mittwoch entschieden wird, könnte zum Präzedenzfall werden, um eine große Zahl von Palästinensern und anderen Flüchtlingen nach Griechenland abzuschieben.

Die Gerichte der ersten Instanzen haben ihre Klage zurückgewiesen, mit einer Begründung, die weitreichende Auswirkungen auf weitere Asylverfahren haben könnte:

Zwar weise das griechische Aufnahmesystem für anerkannte Schutzberechtigte weiterhin erhebliche Defizite auf. Diese führten aber nicht allgemein zu systemischen Mängeln, die jedenfalls nicht für arbeitsfähige, gesunde und alleinstehende junge männliche Schutzberechtigte bestünden. Angehörige dieser Gruppe könnten die ersten sechs Monate, in denen kein Anspruch auf ein garantiertes Mindesteinkommen bestehe, im Allgemeinen durch Eigeninitiative bei der Suche nach einer Unterkunft und einer Arbeit überwinden.

Nun soll das Bundesverwaltungsgericht über sogenannte „Tatsachenrevisionen in asylrechtlichen Verfahren betreffend Griechenland“ entscheiden, d. h. die „aktuelle allgemeine asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Abschiebezielstaat (hier Griechenland) für die genannte Personengruppe“ beurteilen.

Die juristische Argumentation ist perfide. Menschen, die zur Gruppe der „arbeitsfähigen, gesunden und alleinstehenden jungen männlichen Schutzberechtigten“ gehören – und das ist ein Großteil der Asylbewerber in Deutschland –, sollen sich in Griechenland allein durchschlagen. Für sie gelten offenbar keine Menschenrechte mehr, sondern nur das „Überleben des Stärkeren“.

Reporter der WSWS sprachen am Samstag mit Teilnehmern der Demonstration gegen Abschiebungen.

Mina hielt ein Plakat mit dem Porträt des jungen Palästinensers Ahmad Manasra hoch, der als 13-jähriger Jugendlicher in Ostjerusalem verhaftet worden war. Zehn Jahre lang saß er hinter Gittern in einem israelischen Gefängnis, erzählt Mina. Erst vor wenigen Tagen wurde er freigelassen und leide jetzt unter psychischen Problemen.

Mina mit einem Plakat über Ahmad Manasra, der mit 13 Jahren in Ostjerusalem verhaftet wurde [Photo: WSWS]

Sie ist schockiert über die Abschiebungen: „Es ist absurd, dass man wegen seiner eigenen Meinung abgeschoben werden kann. Dann denke ich, dass ich mich gar nicht mehr äußern darf. Dann fühle ich mich hier nicht frei. Man sagt, Deutschland sei ein freies Land, aber wenn sie so etwas machen, fühle ich mich unterdrückt.“

Sie denkt, dass die deutsche Regierung zu diesen Methoden greift, weil „sie den Genozid unterstützt und aus der Vergangenheit nichts gelernt hat“. Auch die jüngst beschlossene Aufrüstung der Bundeswehr hält sie für „völlig verrückt“.

Ein Demonstrant aus Irland, der in der Palestine Solidarity Campaign in West Cork aktiv war, erklärte: „Jeder sollte gegen diesen Völkermord aufstehen – besonders gegen die Komplizenschaft der westlichen imperialistischen Mächte wie die USA und Deutschland.“

Ein irischer Demonstrant mit dem Flugblatt für die Kundgebung „Defend the #Berlin4“ [Photo: WSWS]

Er wolle auch zur Kundgebung am Donnerstag kommen und gegen die Angriffe auf die vier Gaza-Aktivisten, darunter zwei Iren, protestieren. Der Fall habe ihn sofort an die USA erinnert, wo der Columbia-Student Mahmoud Khalil aufgrund seiner propalästinensischen Ansichten verhaftet wurde.

Allerdings sei er enttäuscht, dass die Linkspartei in Deutschland keine Bewegung gegen den Genozid organisiere. Die WSWS-Reporter diskutierten mit ihm über die verheerende Rolle der Linkspartei, die den Völkermord und die militärische Aufrüstung unterstützt hat.

Einige Studierende der Hertie School, eine private Hochschule für Business in Berlin, berichteten von repressiven Maßnahmen gegen Genozid-Gegner auf ihrem Campus. Auch sie sehen deutliche Parallelen zu den Angriffen auf internationale Studierende in Amerika.

Der 33-jährige Teilnehmer Oosugi, der aus Japan nach Berlin gezogen ist, betont: „Wie Deutschland den Genozid aktiv unterstützt, ist ziemlich schockierend.“ Viele Menschen würden bereits abgeschoben, auch Geflüchtete aus Gaza. Die drohende Abschiebung der Berlin4 könnte aus seiner Sicht tatsächlich zum Präzedenzfall werden:

„Dass jetzt auch EU-Bürger, die angeblich das Recht der Freizügigkeit haben, wegen ihren politischen Ansichten abgeschoben werden sollen, ist wirklich nur ein Schritt davon entfernt, Menschen für politischen Aktivismus zu inhaftieren. Ich kann mir vorstellen, dass Deutschland das wirklich tun wird.“ Die Regierung teste aus, wie weit sie mit der Repression gehen kann, bis die deutsche Öffentlichkeit reagiere.

In Japan hätten bislang viele Menschen Deutschland für die Erinnerungspolitik der Nazi-Vergangenheit bewundert, aber jetzt entpuppe sich das alles als Fake. „Das internationale Ansehen, das Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg gewonnen hat, ist völlig zerstört, weil sie gezeigt haben, dass sie offen einen Genozid unterstützen“, so Oosugi. Er verwies auch besorgt auf die Militarisierung in Deutschland und Japan und die neue militärische Partnerschaft beider Länder.

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