Gemeinsames Online-Treffen der Aktionskomitees Post, BVG und öffentlicher Dienst am 10. April 2025

„Die Arbeiter, nicht die Gewerkschaften, halten alles am Laufen“

Am 10. April trafen sich die Aktionskomitees von einigen der Branchen, die derzeit mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi konfrontiert sind, zu einem gemeinsamen Online-Treffen.

Unter den Teilnehmenden waren Postbeschäftigte, Busfahrer der Berliner BVG, Beschäftigte aus dem öffentlichen Dienst, den Kliniken, der Verwaltung und mehrere Arbeiterinnen und Arbeiter aus anderen Branchen. Im Zentrum stand die Frage: Wie weiter gegen den Ausverkauf unserer Tarifkämpfe um bessere Löhne und Bedingungen durch Verdi?

„Wir Beschäftigten sollen mit unseren Arbeitsplätzen, unseren Löhnen und Arbeitsbedingungen – sprich mit unsrer Gesundheit – für Aufrüstung und Krieg bezahlen“, erklärte Dietmar Gaisenkersting, der Sprecher der Aktionskomitees, in seiner Einleitung. Gaisenkersting, selbst im öffentlichen Dienst beschäftigt, schilderte die Wut unter den Kolleginnen und Kollegen: „Nach den Reallohnsenkungen der letzten Jahre und der nicht enden wollenden Personalknappheit hätten fast alle von uns unbefristete Erzwingungsstreiks unterstützt.“

Daher habe Verdi das Manöver mit den Schlichtungen entwickelt, erklärte Gaisenkersting weiter. „In allen unseren Tarifbereichen wird nach demselben Muster vorgegangen: Die Tarifverhandlungen werden zum Scheitern geführt, um in die Schlichtung zu gehen. Die Schlichtungsergebnisse senken dann die Reallöhne und verschlimmern noch die miserablen Arbeitsbedingungen.“

Regelmäßig rufe die Verdi-Tarifkommission dazu auf, die schlechten Ergebnisse anzunehmen. Der Grund dafür sei, dass die Verdi-Führung um Frank Werneke, Christine Behle und Andrea Kocsis als langjährige SPD-Mitglieder mit der Politik der Bundesregierung übereinstimme:

Sie ziehen alle an einem Strang. Genau wie die DGB-Chefin Fahimi und die anderen Gewerkschaftsspitzen teilt Verdi die Auffassung der Herrschenden, dass Deutschland wieder zur Großmacht werden muss. Für die Aufrüstung und den Aufbau einer ‚kriegstüchtigen‘ Infrastruktur stellen sie eine Billion Euro zur Verfügung, während sie uns sagen, für auskömmliche Löhne und Gehälter sei kein Geld da.

Der Beitrag des BVG-Busfahrers Andy Niklaus, des Sprechers des Aktionskomitees Verkehrsarbeiter, machte deutlich, wie dreist Verdi bei der BVG einen schlechten Abschluss durchsetzt, obwohl sich die Beschäftigten mit 95,4 Prozent für einen unbefristeten Erzwingungsstreik ausgesprochen haben.

„Das Schlichtungsergebnis, das uns gerade als das Gelbe vom Ei verkauft werden soll, hat (mit nur minimalen Abweichungen) das Arbeitgeberangebot vom 12. März übernommen“, so Niklaus. Die Einmalzahlung von 1.500 Euro solle dazu beitragen, dass viele Mitglieder zustimmen. In Wirklichkeit werde damit eine tabellenwirksame Lohnerhöhung um fünf Monate nach hinten verschoben. „Die Einmalzahlung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Verdi und die Arbeitgeberseite uns erneut ausverkaufen, wie schon in den vergangenen Tarifkämpfen.“

Niklaus rief dazu auf, in der Mitgliederbefragung bis zum 25. April mit Nein zu stimmen, die Forderung nach einem Vollstreik durchzusetzen und das Aktionskomitee Verkehrsarbeiter aufzubauen, um dem systematischen Ausverkauf durch die Gewerkschaftsführungen eine Alternative entgegenzusetzen.

Warnstreik im öffentlichen Dienst und bei der BVG, Berlin, 21. Februar 2025 [Photo: WSWS]

Auch über den Ausverkauf bei der Deutschen Post DHL gab es detaillierte Beiträge. Der DHL-Bote Martin berichte, dass die Verdi-Spitze trotz eines Mitgliedervotums von 54 Prozent der Postbeschäftigten ein Angebot angenommen hatte, das faktisch Reallohnsenkungen beinhaltet und mit 8.000 Stellenstreichungen einhergeht. „Fakt ist“, betonte Martin, „dass wir bei der Post intensiv mehr Leute brauchen!“

Er schilderte die Bedingungen, unter denen einzelne Beschäftigte nicht nur ganze LKWs auf das Verladeband umladen, sondern auch immer größere Zustellbezirke bedienen müssen. Dies bestätigte auch ein weiterer Teilnehmer: Die Post habe in den Zustellbereichen neue Flexsysteme eingeführt, nach denen die Zusteller „flexibel eingesetzt“ werden könnten. Dies führe zu immer größeren Paketmengen und umfangreicheren Bezirken. „Das passiert jetzt ständig.“ Und es mache deutlich, wie sehr in Wirklichkeit überall Personal fehlt.

Auch über die Auswirkungen auf den Gesundheitsbereich gab es eine konkrete Schilderung von Max aus dem Nürnberger Klinikum. Er sagte: „Verdi hat die bewusste Entscheidung getroffen, einem unbefristeten Streik aus dem Weg zu gehen. Das hat bei uns dazu geführt, dass wir weitere Kollegen verlieren, die gekündigt haben.“ Dies zeige, wie dringend es sei, als Alternative zu Verdi unabhängige Aktionskomitees aufzubauen.

An dieser Frage entzündete sich eine lebhafte Diskussion. Ein Postbeschäftigter und ein weiterer BVG-Busfahrer betonten ihre Unzufriedenheit und versicherten, sie nutzten ihre Mitgliedschaft bei Verdi, um mit Nein zu stimmen. Die Frage stelle sich jedoch, welche Alternative sich biete, wenn man bei Verdi austreten würde. „Ich möchte mein Stimmrecht nicht verlieren“, sagte einer. „Wie kann man denn außerhalb der Gewerkschaften den Arbeitskampf legitim führen?“ Ein Teilnehmer erinnerte daran, dass in der sogenannten „Tarifautonomie“ jeweils nur die stärkste Gewerkschaft, die im Betrieb die meisten Mitglieder hat, als Partner der Unternehmer und der Regierung anerkannt wird.

Darauf antwortete Ulrich Rippert, der Ehrenvorsitzende der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP). Er erinnerte daran, dass „das, was hier gegenwärtig stattfindet, ein fundamentaler Umbruch der gesamten politischen Situation ist. Wir erleben eine vehemente militärische Aufrüstung, wie es sie seit der Nazizeit nicht gegeben hat. Wir sind mit einer Regierung konfrontiert, die uns Arbeitern den Krieg erklärt und massive Sozialkürzungen durchsetzen will.“ Er sagte:

Ich halte es für sehr wichtig, dass man mit Nein stimmt. Aber Verdi hat deutlich gemacht, dass sie den schlechten Abschluss dennoch durchsetzt. Davon können die Kollegen bei der Post ein Lied singen. Daher ist es entscheidend, dass wir uns unabhängig organisieren, um die Diktatur der bürokratischen Apparate zu durchbrechen.

„Alle sprechen von Zeitenwende“, fuhr Rippert fort, „was ausdrücken soll, dass die Dinge sich grundlegend ändern.“

Statt internationalen Handelsabsprachen erleben wir Zollkrieg, Handelskrieg und die Vorbereitung auf militärischen Krieg. Auch bezüglich der Gewerkschaftsbewegung findet eine grundlegende Veränderung statt: Die Gewerkschaften – nicht nur Verdi, auch die IG Metall und der ganze DGB – handeln als fünfte Kolonne der Regierung, nicht mehr als Interessensvertreter der Beschäftigten. Sie sind bereit, Reallohnsenkung und massive Sozialkürzungen gegen die Arbeiter durchzusetzen.

„Auf diese Veränderung in der Organisation der Arbeiterklasse müssen wir reagieren“, fuhr Rippert fort. Dafür gebe es historische Beispiele. Die Arbeiterklasse habe auch früher schon Aktionskomitees und eigene Organe gegründet, um revolutionäre Kämpfe auch gegen die Gewerkschaften durchzufechten, denn: „Die Gewerkschaften repräsentieren nur einen Teil der Arbeiterklasse. Die große Mehrheit ist nicht organisiert.“

Torbesetzung der VDM in Frankfurt am Main, 14. September 1981. Sechs Wochen später kam es zur eigentlichen Betriebsbesetzung, die vom 26. Oktober bis am 2. November 1981 dauerte [Photo: WSWS]

Rippert erinnerte an die Besetzung des Metallbetriebs VDM in Frankfurt (Tochterbetrieb der Metallgesellschaft) im Oktober 1981, an der er selbst als Maschinenschlosser maßgeblich beteiligt gewesen war. Er berichtete:

Es wurde beschlossen, den gesamten Betrieb dichtzumachen. Natürlich entstand eine große Unruhe im Betrieb, auch weil man von Entlassungen in anderen Metallbetrieben (wie z.B. den Adlerwerken) wusste. Die IG Metall reagierte sofort damit, einen Sozialplan zu entwickeln, was nichts anderes bedeutete, als dass sie der Betriebsschließung zustimmte.

In dieser Situation haben wir ein Aktionskomitee im Betrieb aufgebaut und die Dinge selbst in die Hand genommen. Wir haben den Betrieb mehr als eine Woche lang besetzt. Und obwohl es uns damals noch nicht gelang, eine Welle von Betriebsbesetzungen auszulösen, haben wir schließlich für die zumeist älteren Beschäftigten das Zehnfache der geplanten Abfindungen durchgesetzt, sowie auch die Garantie, dass niemand gemaßregelt wurde.

Arbeiter können alles erreichen, denn sie haben die Macht, nicht die Gewerkschaften.

Rippert betonte: „Die herrschenden Zustände sind nicht Gott-gegeben. Gesetzesfragen und Rechtsfragen sind letzten Endes Machtfragen. Wir haben als Arbeiter sehr viel mehr Macht als die Bürokratie. Alles hängt davon ab, wie wir uns entscheiden und wie die Arbeiterklasse reagiert.“ Deshalb sei die Neuorganisation in Form von Aktionskomitees so wichtig.

Auch Carola sprach zu dieser Frage. Sie sagte: „Wir sind es gewohnt – und man hat uns regelreicht eingeimpft – dass wir uns an die gesetzlichen Regelungen, die der Staat vorgibt, und an die tariflichen Regelungen zu halten haben.“ Das sei der Rahmen, in dem wir uns bewegen dürften. „Aber dieser Rahmen wurde angegriffen, und zwar nicht von uns, sondern von der Arbeitgeberseite und von der politischen Seite.“

Sie erinnerte daran, „dass es die Arbeiter waren, die das Streikrecht ursprünglich durchgesetzt haben. Und heute tragen die Gewerkschaften dazu bei, das Streikrecht auszuhebeln.“ Carola sagte:

Der Rahmen, in dem wir gewohnt sind zu denken, der wird extrem verengt. Deshalb ist es unabdingbar, wenn wir wirklich für unsere Interessen einstehen wollen und kämpfen wollen, dass wir diesen Rahmen, den man uns aufzwingt, durchbrechen. Dazu haben wir dieses unabhängige Aktionskomitee gegründet.

Das Aktionskomitee geht von völlig anderen Prinzipien aus als die Gewerkschaften. Diese erklärte Ulrich Rippert so:

Unser erstes Prinzip lautet, dass die Bedürfnisse von uns Arbeitern und unseren Familien, unsere Lebensinteressen, höher stehen als die Profitinteressen und die politischen Interessen der Kapitalisten, der Aktionäre, Spekulanten und ihrer Lakaien in der Regierung. (…) Und das zweite Prinzip lautet, dass das nur geht, wenn wir international zusammenarbeiten. Wenn wir den Unternehmern, die in ihren Konzernen eine globale Strategie verfolgen, unsere eigene internationale Strategie entgegensetzen, und wenn wir uns zusammenschließen, um in einem gemeinsamen Kampf die ganze kapitalistische Ausbeutung abzuschaffen.

Streikposten der kanadischen Post, Ontario, November 2024 [Photo: WSWS]

Die internationale Dimension der Aktionskomitees, die zu der Internationalen Arbeiterallianz gehören, wurde durch zwei Grußbotschaften, aus Großbritannien und aus Kanada, noch besonders unterstrichen. In der Grußbotschaft aus Großbritannien berichtete David Andrew darüber, wie das Postal Workers Rank-and-File Committee (UK) aufgrund des Ausverkaufs einer landesweiten Streikbewegung durch die Postgewerkschaft CWU im Jahr 2022 entstanden war. Zum Ausverkauf durch Verdi schrieb Andrew:

Wir hier bei Royal Mail sind nur allzu vertraut mit solchen korrupten und unternehmensfreundlichen Taktiken, die von der Communication Workers Union gegen uns eingesetzt wurden. Die Gewerkschaftsbürokratie tritt nur auf den Plan, um einen echten Kampf zu sabotieren. Sie haben sich mit den Führungskräften der Unternehmen und der Regierung verschworen, um unsere Forderungen durch eine Schlichtung auszuverkaufen. Auf diese Weise erzwingen sie noch mehr Wettbewerb und eine größere Rentabilität.

„Dies ist kein gewöhnlicher Kampf“, warnte Andrew und fuhr eindringlich fort: „Wir müssen unsere Kämpfe vereinheitlichen, unabhängig davon, für welches nationale Unternehmen wir arbeiten, denn wir alle stehen an vorderster Front gegen einen globalen Angriff, bei dem die Konzernoligarchie in jedem Land nach dem gleichen Muster vorgeht.“

In der Grußbotschaft aus Kanada wies Daniel Berkley aus Ontario zudem auf Folgendes hin:

Automatisierung und künstliche Intelligenz könnten unsere Arbeit wesentlich erleichtern, aber die Canada Post Corporation beharrt darauf, dass diese neuen Technologien, anstatt den Beschäftigten zu nützen, die Post in die Lage versetzen sollen, mit Amazon und anderen Unternehmern der Gig-Economy zu konkurrieren, indem sie die Unternehmensgewinne steigern und die Arbeitskosten senken. Und die liberale Regierung und die Gewerkschaft Canadian Union of Postal Workers (CUPW) unterstützen sie dabei.

Beide Grußbotschaften machten deutlich, wie sehr sich die Probleme ähneln, denen Arbeiter heute gegenüberstehen, und dass die Gewerkschaften in jedem Land die gleiche Rolle spielen.

Zum Abschluss betonte Gaisenkersting: „Wir sind diejenigen, die den ganzen Laden am Laufen halten, und die Gesellschaft sollte nach unseren Bedürfnissen, nicht nach den Profiten der Konzerne, organisiert werden.“ Er forderte alle Teilnehmer aus Post, BVG und öffentlichem Dienst erneut auf, sich aktiv am Aufbau der dazu notwendigen Aktionskomitees zu beteiligen.

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