Die Talfahrt an der Wall Street hat sich am Donnerstag fortgesetzt, nachdem das Weiße Haus klargestellt hatte, dass die Zölle für China 145 Prozent und nicht wie zuvor angegeben 125 Prozent betragen. Zudem wurden die enormen Auswirkungen eines umfassenden Wirtschaftskriegs zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Welt immer deutlicher.
Die 125-prozentigen Aufschläge setzen sich aus einem so genannten „reziproken Zoll“ sowie den Maßnahmen zur Reaktion auf Chinas Vergeltungsmaßnahmen zusammen. Sie kamen zu der 20-prozentigen Zollerhöhung hinzu, die Trump bereits vor dem „Tag der Befreiung“ am 2. April angekündigt hatte.
Nach der Euphorie von Mittwoch, als die Aktienkurse in die Höhe geschossen waren, weil ein 90-tägiger Aufschub für die „reziproken Zölle“ gegen zahlreiche Länder angekündigt wurde – in einigen Fällen bis zu 50 Prozent –, landeten die Börsen unsanft zurück auf dem Boden der Tatsachen.
Der S&P 500 fiel um 3,5 Prozent, nachdem er am Vortag um 9,5 Prozent gestiegen war. Der Technologie-Index NASDAQ fiel nach seinem besten Tagesergebnis seit 2001 um 4,3 Prozent, der Dow Jones um 2,5 Prozent.
An den Devisenmärkten fiel der Währungsindex des US-Dollars gegenüber einem Dutzend anderer Währungen erneut um 1,9 Prozent. Gleichzeitig mehren sich Fragen, was der Wirtschaftskrieg für den Status des Dollars als Weltreservewährung bedeutet.
Die Ereignisse der letzten Woche haben immer deutlicher gemacht, dass sich der Wirtschaftskrieg schwerpunktmäßig gegen China richtet und dass es bei den „Verhandlungen“ mit anderen Ländern vor allem darum gehen wird, von ihnen zu verlangen, sich den Zielen der USA in Bezug auf die „nationale Sicherheit“ anzupassen. Andernfalls drohen ihnen nach dem Auslaufen des 90-tägigen Aufschubs erhebliche Erhöhungen der Zölle.
Jim Cramer, ein Diskussionsteilnehmer der Morgensendung des Wirtschaftssenders CNBC, erklärte, man solle nicht mehr von „Zollerhöhungen“ gegenüber China reden, da in Wirklichkeit ein Embargo verhängt wurde, d.h. eine vollständige Blockade chinesischer Waren.
Ökonomen der Deutschen Bank sprachen von einer „ungeordneten Entkoppelung zwischen den größten Volkswirtschaften der Welt.“
Andere Stimmen äußerten sich noch deutlicher. Capital Economics erklärte, die chinesischen Exporte in die USA könnten sich in der nächsten Zeit mehr als halbieren. Analysten der Société Générale erklärten, Chinas Exporte in die USA würden aufgrund der Zollerhöhungen „weitgehend zunichte gemacht.“
Die Auswirkungen sind bereits zu spüren. Laut einem Bericht des Wall Street Journal sind die täglichen Containerbuchungen auf der Handelsroute zwischen den USA und China seit Ende März im Vergleich zum Vorjahr um ein Viertel zurückgegangen. Weiter hieß es, einige US-Importeure hätten anstehende Lieferungen vorläufig gestoppt, andere würden sie einlagern, um auf Klärung zu warten, bevor sie die Zollabfertigung passieren.
Gleichzeitig mehren sich die Berichte über den wirtschaftlichen Schaden, den die Zölle sowohl in China als auch in den USA bereits angerichtet haben, noch bevor die Auswirkungen der Zölle in vollem Umfang spürbar werden.
Der Vorstandschef eines amerikanischen Herstellers für Küchengeräte und Haushaltsprodukte, die in China, Indien und Kambodscha produziert und u.a. bei Walmart und Target verkauft werden, gab gegenüber dem Journal an, er habe bereits zehn Millionen Dollar durch stornierte Aufträge verloren und rechne mit weiteren Verlusten.
Die Financial Times (FT) hob in einem Artikel das entstandene Chaos hervor. Darin wird von Reedereien berichtet, die Aufträge stornieren und vor zunehmenden Störungen in den kommenden Wochen warnen.
Eine ungenannte Quelle aus der Shanghaier Frachtbranche erklärte gegenüber der FT: „Wir verzeichnen momentan eine enorme Anzahl von Stornierungen. Es herrscht so große Unsicherheit, dass die Leute Container abbestellen. Im Moment haben wir einen neuen Auftrag über etwa 100 Container, die nach Houston sollen, aber das ist jetzt alles auf Eis gelegt. Die Lage ändert sich fast stündlich.“
Trump, sein Kabinett und seine Gefolgsleute behaupten, die „Pause“ vom Mittwoch sei Teil eines Masterplans mit dem Ziel, die Handelspartner der USA zu bewegen, um Verhandlungen zu bitten. Der wirkliche Grund war allerdings, dass das Finanzsystem am Rande eines Zusammenbruchs stand, der so ernst gewesen wäre wie der vom September 2008 und von März 2020, wenn nicht sogar schwerwiegender.
Die FT veröffentlichte am Donnerstag einen Leitartikel, der die Behauptungen widerlegte, „Trumps Rückzieher sei Teil einer ,umfassenden Verhandlungsstrategie‘“, und erklärte: „Der wichtigste Faktor war sicherlich der steile Erdrutsch an den Märkten – vor allem des mächtigen Marktes für US-Staatsanleihen.“
Trump erklärte bei der Bekanntgabe der „Pause“, den Menschen sei „etwas mulmig“ geworden.
Der Leitartikel bezeichnete dies jedoch als „Lehrstunde in Untertreibung.“
„Der Markt für US-Staatsanleihen ist einer Katastrophe entkommen, aber nur knapp. Eine zuverlässige Regel für Investitionen lautet, dass Staatsanleihen in Krisenzeiten als Sicherheitsventil fungieren, weil sie einen risikofreien Rückzugsort bieten, also steigen die Preise. Nach der Bekanntgabe von Trumps Zöllen versagte diese Funktion, und die Preise für Staatsanleihen fielen.“
Der Leitartikel beschäftigte sich auch mit dem Status des Dollar als Weltreservewährung. Dazu hieß es, da die USA ihren Status als sicherer Hafen beeinträchtigt haben, könnten Japan und China, zwei der zuverlässigsten Käufer von US-Staatsanleihen, beginnen, diese zu verkaufen oder „künftige Einkäufe zu bremsen“. Tatsächlich hat China bereits seit einiger Zeit seine Bestände an US-Staatsanleihen reduziert.
Trumps Wirtschaftskrieg hat die Frage nach dem Funktionieren des internationalen Währungssystems in den Mittelpunkt gerückt. Seit US-Präsident Nixon am 15. August 1971 die Golddeckung des Dollars aufgehoben hat, ist der Dollar eine Fiat-Währung. Das bedeutet, er basiert nicht auf einem realen Wert, sondern hängt seitdem von der Macht des amerikanischen Staates ab.
Doch dieser Staat befindet sich jetzt in einer Wirtschafts- und Finanzkrise. Das explosionsartige Anwachsen der Staatsverschuldung auf 36 Billionen Dollar und ihr Anstieg in einem Tempo, das allgemein als „untragbar“ gilt, sind nur ein Anzeichen dafür.
Diese zugrundeliegende Krise hat jetzt durch Trumps Vorgehen einen neuen Höhepunkt an Intensität erreicht. Seine Schläge nach allen Seiten sind Ausdruck der existenziellen Krise des kapitalistischen Systems selbst und verschärfen diese gleichzeitig.
Wie der Leitartikel feststellt: „Trumps stümperhafte Versuche, den Welthandel neu zu ordnen, haben alle Säulen der Reservewährung erschüttert: Stabilität, Zuverlässigkeit, robuster politischer Kurs und Rechtsstaatlichkeit.“
Und die Anleihemärkte reagierten darauf mit einer deutlichen Warnung, dass der Status des US-Dollar als Reservewährung keine unumstößliche Gegebenheit ist.
Der zunehmende Vertrauensverlust in den Dollar zeigt sich im Anstieg des Goldpreises. Nach einem kurzen Abschwung während des Abverkaufs hat er wieder zugelegt und erreicht fast täglich neue Rekordhöhen.
Diese Prozesse, die der Kontrolle der herrschenden Klassen und ihrer Organe zur Eindämmung entgleiten, drohen riesige, auf dem Dollar und massiven Kreditbergen basierende Vermögensstrukturen zu zerstören. Der Zusammenbruch des kapitalistischen
Systems ist keine Aussicht für die Zukunft, sondern findet bereits statt, und innerhalb seines Rahmens gibt es keine Lösung dafür.
Für die internationale Arbeiterklasse ergibt sich daraus die historische Herausforderung, die existenzielle Krise des überholten und reaktionären Profitsystems durch den Kampf für den internationalen Sozialismus zu lösen.